„Eine Revolution wogegen?“

VN-Interview mit Hans Platzgumer (56), Schriftsteller, Komponist, Musiker und Produzent.
lochau Der Wahlvorarlberger Hans Platzgumer hat mit „What goes up must come down” ein hochinteressantes Buch über Popmusik, Jugendkulturen und, wenn man so will, Gesellschaftskritik vorgelegt.
Was war der Reiz daran, als Musiker über Musik zu schreiben?
Als Essayist wurde ich seit Jahren immer wieder gefragt, einen Text über die Musik zu schreiben, von der ich ja ursprünglich komme. Ich zierte mich lange, aber dann fand ich einen schlüssigen Zugang.
Heute kann man sich in Sekunden jeden Song herzaubern. Früher wartete man eine halbe Nacht im Club. Das war aber spannender, oder?
Zuwenig ist immer besser als Zuviel. Überfluss ist unbefriedigend. Wir leben – durch das digitale Überangebot mehr denn je zuvor – in einer Überflussgesellschaft, in der wir Warten und Verzichten verlernt haben und uns kaum an den Dingen tiefgehend erfreuen können, die wir entdecken. Wir geben ihnen nicht die Chance, uns mit sich fortzutragen. Dies gilt auch für die Musik, die wir konsumieren. Wir nehmen sie als etwas Gegebenes, ständig Verfügbares an. Darunter leidet die Wertschätzung, die wir ihr entgegenbringen.
Rückblickend sagen viele Zeitgenossen, dass der härteste Break in der Jugendmusik der Umstieg von „Bandmusik“ auf elektronische Musik war, dass hier viel verloren ging. Eine reaktionäre Ansicht?
Absolut reaktionär und altväterlich. Ohne die aufkommende Elektronik hätte sich die Popmusik bereits in den 1980ern totgelaufen. Die neuen synthetischen, später digitalen Produktionsmöglichkeiten öffneten vollkommen neue Welten. Musikformen entstanden, die stilistisch nichts mit der Popmusik früherer Epochen zu tun hatten, aber ebenso revolutionär und in der Lage waren, eine Rebellion der Jugend zu befeuern.

Sie lieben Musik, machen Musik und können doch kein absoluter Fan einer Band sein – woran liegt das?
Ich stelle immer das Werk über die Person, die es geschaffen hat. Es gibt unzählige großartige Werke in der Popgeschichte, aber es gibt keinen Star, der nur erfolgreiche Werke veröffentlicht hat. Damit wirklich Großes entsteht, muss das Genie eines Menschen auf die richtigen Umstände treffen. Das Umfeld, die Zeit, der Ort, aber auch der Zufall spielen eine entscheidende Rolle.
BBC-Radiolegende John Peel hörte auf der Autobahn im Radio einmal „Teenage Kicks“ von den Undertones und musste vor Glück weinend auf dem Pannenstreifen stehenbleiben, um sich das Lied fertig anzuhören. Hatten Sie auch solche Erlebnisse?
Ich denke, wir alle haben ähnliche Erfahrungen, Momente, an denen uns ohne Vorwarnung plötzlich eine bestimmte Musik voll und ganz ergreift. Ich hasse zwar Autos, aber sie sind ein guter Ort, um in Musik einzutauchen.
Sie sind eher der „Bob Dylan-Lästerer“ und der hat es schon immer schwer gehabt, weil man hier gegen eine Religionsgemeinschaft antritt, oder?
Ich habe nichts gegen Dylan an sich, er macht sein Ding, ist einzigartig, er bereicherte die Popmusik vor einem halben Jahrhundert mit einer Handvoll großartiger Songs. Doch das ist lange her. Was mich stört, ist die unkritische Rezeption, die Kanonisierung, die maßlose Überschätzung seines Schaffens.
Warum gehen junge Menschen heute lieber ins Fitnessstudio, hören Musik nebenbei und trinken Eiweißshakes statt Alkohol? Ist ja auch eine Art Revolte, oder?
Eine Revolte wogegen? Es fällt mir schwer, ein vollkommen unpolitisches Verhalten, Körperkult und übersteigertes Individualbewusstsein als gesellschaftskritische Handlung zu interpretieren.
Als Autor kann man alt werden, man betritt die Bühne ohne dass man komisch angeschaut wird. Ein Vorteil, oder?
Der Jugendwahn hat längst auch die Literaturszene erreicht. Auch dort gilt die Verpackung inzwischen mehr als der Inhalt. In der Popmusik ist das für mich nachvollziehbar, im intellektuellen und philosophischen Diskurs weniger. Kürzlich las ich eine philosophische Abhandlung über Midlife-Crisis und Altwerden, geschrieben von Mitte-Dreißig-Jährigen, und musste lachen.
MGW
infos
Hans Platzgumer: „What goes up must come down”, 180 S, bahoe books.
Buchpräsentation: Kosmos-Theater, Fr 23.05.25 um 19:30.