Interpretationsstarke Einheit

Bruce Liu, Candida Thompson und Amsterdam Sinfonietta beeindrucken bei TAK Weltklassik Konzert.
Vaduz Bruce Liu, Candida Thompson und die Amsterdam Sinfonietta präsentierten am Mittwochabend im Rahmen der TAK Vaduzer Weltklassik Konzerte ein Kammerorchesterprogramm von hoher interpretatorischer Präzision und stilistischer Vielfalt. Das Konzert unterstrich eindrücklich, wie aus der engen Zusammenarbeit einer Solistin, eines Solisten und eines flexiblen Ensembles eine musikalische Einheit entstehen kann, die auf Routine verzichtet. Der 1997 in Paris geborene Pianist Bruce Liu – seit seinem Sieg beim Chopin-Wettbewerb 2021 in Warschau international in den Fokus gerückt – bestätigte seine Ausnahmestellung mit einer klanglich differenzierten und strukturell durchdachten Interpretation von Chopins „Grande Polonaise brillante“ op. 22. Liu gestaltete die virtuosen Passagen mit kontrollierter Leichtigkeit und ließ die Solosequenzen nie in bloße Artistik abgleiten. Vielmehr überzeugte er durch souveräne Phrasierung, rhythmische Klarheit und eine transparente dynamische Gestaltung, die den stilistischen Gestus der Polonaise in den Vordergrund stellte. Sein Spiel ließ erkennen, dass es ihm weniger um vordergründige Effekte als um eine präzise Durchdringung der musikalischen Form ging. Er nutzte Freiräume für individuelle Akzente, ohne den stilistischen Rahmen zu verlassen.

Noch deutlicher zeigte sich seine gestalterische Reife in Chopins Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll. Sowohl in den lyrischen Passagen als auch in den dramatisch zugespitzten Episoden bewies Liu ein feines Gespür für die Balance zwischen Solopart und Ensemble. Vor allem der Mittelsatz überzeugte durch atmende Gestaltung, feine Pedalisierung und einen sanglichen Ton, der nie ins Sentimentale abglitt. Bemerkenswert war vor allem seine Fähigkeit, aus klanglicher Zurückhaltung expressive Spannung zu gewinnen.
Candida Thompson, seit 2003 künstlerische Leiterin der Amsterdam Sinfonietta, leitete das Orchester von der Violine aus. In Tschaikowskys „Souvenir de Florence“ op. 70 erwies sie sich als gestaltende Kraft, die weniger auf dominantes Dirigat als auf kammermusikalische Präsenz setzte. Ihr Spiel auf der Guarneri-Geige ‘del Gesù’ zeichnete sich durch einen warmen, konzentrierten Ton aus, der das Ensemble bündelte, ohne es zu überlagern. Das Orchester agierte auch bei komplexeren dynamischen Übergängen sehr präzise und artikulatorisch geschlossen. Auffallend war die schlanke, aber nie unterkühlte Klangbalance zwischen den Stimmgruppen, die auch bei stärkeren Kontrasten ihre strukturelle Klarheit bewahrte.
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In Mieczysław Weinbergs „Aria für Streicher“ op. 9 bewies die Amsterdam Sinfonietta ihre Fähigkeit zu klanglicher Reduktion und feiner Nuancierung. Zwischen schwebender Klangfläche und gesteigerter Expressivität entwickelte das Ensemble eine musikalische Erzählhaltung, die den narrativen Duktus der Aria überzeugend zur Geltung brachte. Gerade in den leisen Passagen wurde deutlich, wie sehr das Orchester über eine gemeinsame Klangvorstellung verfügt – eine Grundvoraussetzung für Werktreue bei gleichzeitiger interpretatorischer Freiheit.
Das Konzert dokumentierte in mehrfacher Hinsicht eine konzeptionell durchdachte Programmgestaltung und ein hohes Maß an gemeinsamer musikalischer Reflexion. Das Zusammenspiel von Solisten und Ensemble geriet nicht zur bloßen Aneinanderreihung von Nummern, sondern zu einer überzeugenden Dramaturgie. Dass der Begriff „Weltklasse“ im Titel der Konzertreihe hier nicht als Werbefloskel erschien, lag an der Substanz der Darbietung – und an einem künstlerischen Selbstverständnis, das das Zusammenspiel über das solistische Erlebnis stellt.