Hoi b’sundrig!

“Große Dinge – Kleine Dinge” als Sommerausstellung in der Mehrerau.
Bregenz Vom 14. Juni bis zum 9. August 2025 zeigt die Abtei Wettingen-Mehrerau die zweite Ausgabe ihrer Sommerausstellung in der Barockbibliothek. Unter dem Titel „Hoi b’sundrig! Große Dinge – Kleine Dinge” werden 28 Exponate aus sieben Jahrhunderten präsentiert. Die Gegenüberstellung von Objekten unterschiedlichster Herkunft – vom mittelalterlichen Pergament bis zur zeitgenössischen Fotografie – eröffnet ungewöhnliche Perspektiven auf den Wandel von Bedeutungszuschreibungen.

Zentral ist die Frage nach dem Verhältnis von Wert und Wertewandel. Als frühestes Exponat ist eine Abschrift der Benediktsregel aus dem späten 14. Jahrhundert zu sehen. Sie wurde wahrscheinlich in einem Zisterzienserkloster angefertigt, später als Material für Einbände wiederverwendet und erst im Zuge der modernen Paläografie als kulturhistorisches Zeugnis wiederentdeckt. Ihre Geschichte steht exemplarisch für den Bedeutungswandel von Schriftstücken und eröffnet den thematischen Bogen der Ausstellung.

Der Ausstellungstitel „Hoi b’sundrig!” – der Vorarlberger Ausdruck, der zwischen Begrüßung und Erstaunen changiert – verweist auf das Anliegen der Schau, den Blick auf das Unvertraute im scheinbar Vertrauten zu lenken. Dieser Impuls verbindet sich in der Präsentation unter anderem mit einem bislang unbekannten Brief Angelika Kauffmanns oder einem Fahrschein der Bregenzerwaldbahn mit der Nummer 0001 aus dem Jahr 1902. Ein kaiserliches Adelsdiplom für den Barockbaumeister Franz Beer von Blaichten, ausgestellt von Karl VI., wird erstmals öffentlich gezeigt und ergänzt die historischen Dokumente um ein Beispiel höfischer Anerkennung von Architektur. Ein Flugblatt zur Hinrichtung einer Meuchelmörderin im Montafon veranschaulicht hingegen Aspekte frühneuzeitlicher Strafpraxis. Auch persönliche Dokumente sind zu sehen, darunter eine Postkarte eines anonymen Fabrikarbeiters, der um 1900 von Bludenz nach New York auswanderte. Die Darstellung seiner individuellen Lebensentscheidung bildet eine Parallele zur fotografischen Serie der Künstlerin Annabell Stübe, die im Bibliothekssaal und im Klosterhof gezeigt wird.

Ein Testament aus dem Jahr 1520, ausgestellt von Hugo von Montfort, sowie eine 500 Jahre alte Streitschrift des Vorarlberger Priesters Bartholomäus Bernhardi verweisen auf religiöse Debatten, darunter die Zölibatsfrage. Ihre Gegenüberstellung eröffnet einen Einblick in die Diskussionen kirchlicher Ordnungsvorstellungen vergangener Jahrhunderte. Mit Werken aus dem Bereich der Bildenden Kunst, wie einem Hochzeitsgruß Gustav Klimts an Julius Rhomberg oder einem Gemälde Rudolf Wackers, das nur wenige Meter vom Ausstellungsort entfernt entstand, werden auch moderne Akzente gesetzt. Ein Eintrag von Kaiser Franz Joseph im Gästebuch der Abtei beschließt die Auswahl an Schriftstücken.

Durch die Verbindung von amtlichen Dokumenten, privaten Notizen und künstlerischen Arbeiten entsteht ein thematischer Bogen zwischen repräsentativem Anspruch und Alltagszeugnis. Erst im musealen Zusammenhang entfalten viele der Objekte ihre historische Aussagekraft. „Hoi b’sundrig!” ist somit nicht nur eine Einladung zum Staunen, sondern regt auch zur Reflexion darüber an, was gesellschaftlich als bewahrenswert gilt – und wer darüber entscheidet.

Welche Geschichten werden erinnert, welche geraten in Vergessenheit? In der Ausstellung treffen große und kleine Perspektiven aufeinander, ohne auf Eindeutigkeit zu zielen. Die Konstellationen lassen Raum für Fragen und bieten Anlass für einen Ausstellungsbesuch im Rahmen eines Sommeraufenthalts in Bregenz. An den nächsten drei Samstagen werden wir an dieser Stelle einige ausgewählte „b’sundrige Dinge” vorstellen.