Oberflächlich laut statt kafkaesk tief

Eine Inszenierung am Vorarlberger Landestheater, die den Geist von ‚Amerika‘ völlig verfehlt.
Bregenz Dass im Landestheater gern und viel gesungen wird, ist inzwischen allgemein bekannt – ganz gleich, ob es zum Stück passt, Sinn ergibt oder ob der Autor eine Beziehung zur Musik hatte. Kafka hatte übrigens keine. Aber sei’s drum, Gesang kommt eben gut an. Niklas Ritters Inszenierung von Kafkas Romanfragment „Amerika“, das vom Autor als beklemmende, düstere Parabel über Entfremdung und Orientierungslosigkeit konzipiert wurde, mutiert zu einer hektischen Aneinanderreihung billiger Witze und platter Slapstick-Einlagen. Die subtile Tiefe des erst drei Jahre nach Kafkas Tod veröffentlichten Werkes weicht einer oberflächlichen Jagd nach dem schnellen Lacher, wobei selbst vor Flatulenz-Witzen nicht zurückgeschreckt wird. Von Kafkas charakteristischer düsterer Atmosphäre, seiner melancholischen Verzweiflung und seinen komplexen Strukturen bleibt nahezu nichts erhalten. Stattdessen fühlt man sich eher an eine mittelmäßige Comedy-Show erinnert, in der tiefgründige Gedanken bestenfalls versehentlich durchscheinen.

Kafkas „Amerika“ erzählt die Geschichte des jungen Karl Roßmann, der nach einem Skandal in seiner Heimatstadt nach Amerika geschickt wird. Doch statt des erhofften Neuanfangs erwartet ihn dort eine Welt voller bürokratischer Hürden, seltsamer Autoritätsfiguren und emotionaler Kälte. In diesem neuen Land, das als Symbol für Freiheit und unbegrenzte Möglichkeiten gilt, erlebt Karl Entwurzelung, Orientierungslosigkeit und zunehmende Vereinsamung.

Einzig die Inszenierungselemente rund um die großen Reisekoffer verdienen Anerkennung. Sie symbolisieren auf gelungene Weise Enge und Isolation und ermöglichen mit minimalen Mitteln eindrückliche Bilder sowie schnelle Szenenwechsel. Wenn in den letzten zehn Minuten des Abends dann endlich so etwas wie kafkaesker Geist spürbar wird, reißt das unvermeidliche, dramatisch-emotionale Schlusslied die Inszenierung brutal zurück in seichte Belanglosigkeit – offenbar allein dazu gedacht, den Schlussapplaus in die Höhe zu treiben.

Man könnte beinahe Mitleid mit dem Ensemble empfinden, denn den Schauspielerinnen und Schauspielern ist nicht anzulasten, dass diese Produktion recht misslungen ist. Im Gegenteil: Vor allem Nurettin Kalfa beeindruckt als junger, naiver Karl Roßmann mit bemerkenswerter Präsenz und Glaubwürdigkeit. Ebenso überzeugend agiert Elzemarieke de Vos, die ihrer Rolle mit Humor und Charme begegnet. Auch Roman Mucha, David Kopp, Nico Raschner und Isabella Campestrini geben ihr Bestes und retten, was noch zu retten ist.

Leider vermag jedoch auch die beste Schauspielkunst nicht das grundlegende Missverständnis dieser Inszenierung wettzumachen. Kafka hat mit seinem Roman „Amerika“ keine lockere Comedy geschaffen, sondern ein verstörendes Porträt von Entwurzelung und Vereinsamung. Indem Ritter diese essenzielle Wahrheit ignoriert, verkommt die Inszenierung zu einem belanglosen Spektakel ohne jede inhaltliche Tiefe.

Am ärgerlichsten ist jedoch nicht die Banalität an sich, sondern die verschenkte Chance, Kafka auf der Bühne neu zu entdecken und sein Werk zeitgemäß zu reflektieren. Statt der angekündigten „neuen Welt“, die für den Protagonisten Karl Roßmann als Labyrinth aus bürokratischen Hürden, Autoritätswillkür und emotionaler Kälte hätte inszeniert werden können, bekommt das Publikum einen chaotischen, lauten Jahrmarkt der Oberflächlichkeiten serviert.

Am Ende bleibt der Eindruck eines vordergründig publikumswirksamen Spektakels. Wer Kafka ernst nimmt, verlässt das Theater enttäuscht – oder sogar früher, wie es einige Zuschauer bereits vor oder während der Pause taten.