Opernmagie auf dem See

Kultur / 18.07.2025 • 06:00 Uhr
Opernmagie auf dem See
Die Handlung der Oper spielt in einem kargen Dorf in Deutschland kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. philipp steurer

Philipp Stölzls Bregenzer „Freischütz“ begeistert auch in diesem Jahr mit visionärer Wucht.

Bregenz Die Wiederaufnahme von Carl Maria von Webers „Der Freischütz” auf der Bregenzer Seebühne wurde am Donnerstagabend zu einem eindrucksvollen Ereignis, das vor Augen führte, wie inspirierend der Dialog zwischen Tradition und Erneuerung sein kann. Regisseur Philipp Stölzl, zugleich verantwortlich für Bühne und Licht, wagt in seiner Inszenierung nicht weniger als eine vollständige Neuvermessung des Werks – und verliert dabei nie dessen musikalische und erzählerische Essenz aus dem Blick. Vielmehr entfaltet er aus ihr heraus eine visuelle wie akustische Erlebniswelt.

Opernmagie auf dem See
Samiel ist in der Bregenzer Inszenierung die zentrale Triebkraft der Oper. philipp steurer

Bereits die eröffnende Szene – Agathes Beisetzung, Max am Galgen – durchbricht das Erwartbare. Doch noch ehe sich das Entsetzen verfestigen kann, tritt Samiel auf, dreht die Zeit zurück und das Geschehen nimmt erneut seinen Lauf. Was zunächst wie ein bloßer Vorspann wirkt, erweist sich als klug gesetzter dramaturgischer Kunstgriff: Die von Jan Dvořák nach Stölzls Konzept erarbeitete Neufassung erzeugt Spannung, Präsenz und eine dichte Erzählstruktur, die das Publikum schnell in die Handlung zieht.

Opernmagie auf dem See
Irina Simmes überzeugt in der Rolle der Agathe sowohl gesanglich als auch darstellerisch. philipp steurer

Stölzls Bildsprache ist dabei von frappierender Intensität. Als ehemaliger Schöpfer opulenter Musikvideos versteht er es meisterhaft, Atmosphäre in Szene zu setzen. Die Wolfsschlucht gerät zum cineastischen Höhepunkt des Abends: Rauch steigt aus dem See, Blitze zucken und Wasserwesen gleiten geisterhaft durch die Nacht. Es ist ein visuelles Spektakel, das die Grenzen des traditionellen Opernerlebens überschreitet, ohne sie zu verleugnen.

Opernmagie auf dem See

Die Wiener Symphoniker entlocken unter der feinfühligen Leitung von Patrik Ringborg Webers Partitur eine farbenreiche Ausdruckskraft, die zwischen dramatischer Wucht und kammermusikalischer Präzision changiert. Besonders hervorzuheben ist die Integration von Geräusch- und Tonebenen in das orchestrale Gefüge. Naturklänge wie das Wühlen des Ebers, das Grollen der Wolfsschlucht oder das Säuseln des Waldes entstehen nicht als äußere Effekte, sondern wachsen organisch aus der Musik selbst hervor – ein akustisches Gewebe von betörender Plastizität.

Opernmagie auf dem See

Wesentlichen Anteil an der musikalischen Qualität haben die beiden Chöre: Der Festspielchor unter der Leitung von Benjamin Lack und der Prager Philharmonische Chor unter der Leitung von Lukáš Kozubík agieren mit stimmlicher Klarheit und dramaturgischer Präsenz. Ihr präzises Zusammenspiel verleiht der Aufführung eindrucksvolle Wucht und starke Resonanz.

Opernmagie auf dem See

Eine besondere Stärke liegt in der Aufwertung der Figur Samiel: Philipp Stölzl macht ihn mit dämonischer Konsequenz zu einer zentralen Triebkraft des Geschehens. Moritz von Treuenfels verkörpert diesen finsteren Strippenzieher mit einer Mischung aus Eleganz, Bedrohung und groteskem Charme. Sein Samiel verführt und manipuliert, erschreckt und fasziniert – eine Präsenz, die der Inszenierung eine beklemmend moderne Dimension verleiht.

Opernmagie auf dem See

Zugleich geht Stölzl in der Textgestaltung radikale Wege: Die oft sperrigen Dialoge des Originals wurden neu gefasst, manche Szenen umgeschrieben und die Figur des Teufels erweitert. Doch anstelle einer plakativen Modernisierung steht hier ein präzises Feilen an Rhythmus, Dynamik und Wirkung.

Opernmagie auf dem See

Die Produktion profitiert dabei spürbar von den Erfahrungen der vergangenen Saison. Ein eingespieltes Ensemble kennt die Eigenheiten der Bühne, die Fallstricke des Timings und die feinen Unterschiede zwischen Wirkung und Überzeichnung. Einzelne Szenen wurden überarbeitet, Übergänge geglättet und Pointen geschärft. Das Ergebnis ist eine hochdifferenzierte Neujustierung, bei der nicht die Innovation um ihrer selbst willen zählt, sondern die Kunst des Verfeinerns, Nachschärfens und Polierens.

Opernmagie auf dem See

Sängerisch und darstellerisch überzeugt Irina Simmes als Agathe mit klarer, inniger Stimme und großer Ausdrucksintensität. Attilio Glaser verleiht seiner Figur als Max vokale Kraft und darstellerische Glaubwürdigkeit. Die Zerrissenheit zwischen Angst, Zweifel und Hoffnung ist bei ihm nicht nur eine Behauptung, sondern wird von ihm gelebt und ausgedrückt. Auch Katharina Ruckgaber bringt als Ännchen Leichtigkeit, Esprit und klangliche Präzision ein. Damit bieten sie den ernsteren Tönen des Abends ein lebendiges Gegengewicht.

Opernmagie auf dem See

So ist dieser Freischütz nicht nur ein gelungenes Revival, sondern ein Opernabend von Geschlossenheit und kluger Gestaltung. Es ist eine Produktion, die das klassische Repertoire weder musealisiert noch banalisierend aktualisiert, sondern mit künstlerischem Mut und musikalischem Ernst in die Gegenwart überführt. Philipp Stölzl und seinem Team ist mit dieser Inszenierung ein großer Wurf gelungen: kraftvoll, poetisch, spannend – ein Festspielmoment, der nachhallt, auch wenn er durchaus polarisiert. Für die einen ist es ein großes, unterhaltsames Opernereignis, für die anderen versinkt die romantische Erzählung unter (Pyro-)Technik, Kitsch und Pathos. Kalt lässt sie auf jeden Fall keinen.