Ein klingendes Bekenntnis zur Freiheit des Geistes

Kultur / 15.08.2025 • 14:30 Uhr
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Am Donnerstagabend feierte “Emily – No Prisoner Be” seine Uraufführung auf der Werkstattbühne.BF / Anja Köhler

Uraufführung von “Emily — No Prisoner Be” bei den Bregenzer Festspielen.

Bregenz Es war ein Abend, der den Anspruch der Bregenzer Festspiele, neue musikalische Horizonte zu eröffnen, mit seltener Geschlossenheit einlöste: “Emily — No Prisoner Be”, die musikalische Auseinandersetzung mit der poetischen Welt Emily Dickinsons (1830-1886), entfaltete sich am Donnerstagabend auf der Werkstattbühne zu einem intensiven, vielschichtigen Erlebnis – gleichermaßen fein ausgeleuchtet im Detail wie in den großen emotionalen Bögen getragen.

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Die mehrfache Grammy-Gewinnerin Joyce DiDonato agierte stimmlich auf höchstem Niveau.BF / Anja Köhler

Bereits die Konzeption verriet hohe künstlerische Ambition. Kevin Puts, Pulitzer-Preisträger und Meister darin, lyrische Verdichtungen in Musik zu übersetzen, hat aus den über 1700 Gedichten der amerikanischen Dichterin 24 ausgewählt, deren Spannweite von zarter Innerlichkeit bis zu aufbegehrender Selbstbehauptung reicht. Es sind Texte, die – wie das Leitmotiv des Abends – die Freiheit des Geistes, den Mut zur eigenen Stimme und die Weigerung, sich gesellschaftlichen Zwängen zu beugen, feiern. Der Titel “No Prisoner Be” ist dabei mehr als eine poetische Geste: Er ist Bekenntnis und Einladung zugleich.

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BF / Anja Köhler

Im Mittelpunkt stand mit Joyce DiDonato eine Sängerin, die nicht nur stimmlich auf höchstem Niveau agiert, sondern in ihrer Kunst stets auch eine Haltung vermittelt. Ihr Mezzosopran entfaltete sich in Puts’ Partitur mit einer Natürlichkeit, die jedes Wort, jede Silbe atmen ließ. Mal flüsternd-vertraulich, mal mit leuchtender Strahlkraft, aber immer getragen von einer tiefen Durchdringung des Textes, wurde sie zur glaubwürdigen Mittlerin zwischen dem inneren Kosmos Dickinsons und dem Publikum. Dass DiDonato bereits seit Studienzeiten eine persönliche Beziehung zu Dickinsons Werk pflegt, war deutlich zu spüren.

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BF / Anja Köhler

Das US-amerikanische Streichtrio Time for Three – bestehend aus Nick Kendall, Charles Yang und Ranaan Meyer – brachte seine genreübergreifende Erfahrung und verblüffende Vielseitigkeit ein. Die drei sind nicht nur virtuose Instrumentalisten, sondern auch Sänger, Percussionisten und gelegentlich sogar Schauspieler – und Puts’ Komposition nutzt all diese Facetten. Die stilistische Offenheit des Trios, das sich mühelos zwischen klassischer Klangkultur, jazzigen Farben und folkartigen Grooves bewegt, erwies sich als ideales Fundament für eine Musik, die nicht im akademischen Kunstlied verharrt, sondern den Dialog mit der Gegenwart sucht.

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BF / Anja Köhler

Regisseur Andrew Staples schuf eine Inszenierung, die den intimen Charakter der Werkstattbühne ideal ausnutzte. Mit sparsamen, aber prägnanten Lichteffekten, gezielten Positionierungen im Raum und einer subtilen Choreografie der Bewegungen ließ er den Abend wie einen fortlaufenden Fluss entstehen, der mal wie ein Zwiegespräch zwischen Sängerin und Musikern und mal wie ein innerer Monolog wirkte. Nichts war überinszeniert und doch trugen die szenischen Entscheidungen dazu bei, dass jede der 24 Miniaturen ein eigenes Profil erhielt.

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BF / Anja Köhler

Musikalisch spannte Puts einen weiten Bogen. Zarte, beinah schwebende Passagen wechselten sich mit rhythmisch pointierten, kraftvoll zupackenden Nummern ab. Immer wieder blitzte ein feiner Humor auf, wie er auch bei Dickinson selbst zwischen den Zeilen zu finden ist. In den ernsteren Momenten, etwa bei Vertonungen, die Verlust, Vergänglichkeit oder Zweifel am Glauben thematisierten, öffnete sich die Musik in weit ausladenden Melodielinien, die DiDonato mit inniger Wärme gestaltete. Besonders berührend wirkte die Vertonung von „They shut me up in Prose“: ein stiller Aufschrei gegen das Verstummen, der in den Händen dieser Interpreten zu einem machtvollen Bekenntnis zur eigenen Stimme wurde.

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BF / Anja Köhler

Am Ende stand kein konventioneller Liederabend, sondern eine ebenso künstlerisch ambitionierte wie unmittelbar berührende Begegnung mit einer Dichterin, deren Werk über Zeit und Raum hinweg spricht. „Emily — No Prisoner Be“ ist eine Ode an die Freiheit des Denkens, an die Kraft der Poesie und an die Fähigkeit der Musik, Worte neu zum Klingen zu bringen. Das begeisterte Publikum belohnte den Abend mit Standing Ovations und lang anhaltendem Schlussapplaus. Damit war klar: Hier ist nicht nur eine Uraufführung gelungen, hier ist ein Werk entstanden, das bleiben wird.