(Verbale) Eiertänze
Sprachliche Begriffe haben jene Bedeutung, die wir ihnen verleihen, und diese kann sich im Lauf der Zeit ändern. Das war immer so, aber heute ist es kein unbeeinflusstes langsames Hinübergleiten, sondern wird von einer selbsternannten Sprachpolizei gesellschaftspolitischer Lobbyisten dekretiert. Auf unbewusst Zuwiderhandelnde, Verweigerer oder geschichtliche Überbleibsel wird mit Abscheu reagiert. Wenn Europäer Weiße sind, dürfen Afrikaner ebenso vereinfacht Schwarze sein. „Neger“, ein lateinisches Lehnwort, bedeutet schlichtweg „schwarz“ und hatte einen insgesamt neutralen, mitunter auch liebevollen Beiklang. Martin Luther King hat sich zeitlebens als „negro“ bezeichnet, man wird ihm kaum Rassismus vorwerfen können. Wenn nun dieses „N-Wort“, wie es verschämt genannt wird, von afrikanisch stämmigen Menschen durchgehend als Herabsetzung empfunden wird, kann man es ja rücksichtsvoll weglassen, aber ohne Ausmerzung mit sektiererischer Unerbittlichkeit. Jede Benennung kann zum Schimpfwort umgemünzt werden, selbst sachliche Abstammungsbezeichnungen wie Jude oder Türke. Verordnete Ausdrücke sind oft künstlich und führen zu verbalen Eiertänzen. Es darf keine Behinderten mehr geben, jedoch offiziell noch „Menschen mit Behinderungen“. „Du bist ja beeinträchtigt!“, wird ein Schulkind seinem Mitschüler künftig ebenso ungeniert entgegenschleudern wie „behindert“. „Rassen“ sind verboten, „Rassenunruhen“ erlaubt. Sprachliche politische Korrektheit ist kompliziert, kurzlebig, umstritten und hoch emotional, womit sie selbst jene einschüchtert, die ihr allzeit brav folgen wollen.
Gerald Grahammer, Lustenau