Zensur im
21. Jahrhundert?
Zum „Offenen Brief“ vom 18. März:
Es ist befremdend, wenn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einerseits erklären, für eine liberale, weltoffene und diverse Gesellschaft einzutreten, andererseits einem bekannten Wissenschaftler wie Dr. Öller zuerst Hass unterstellen, um ihn dann unter diesem Vorwand zum Schweigen bringen wollen. Man würde von aufgeklärten Zeitgenossen eher erwarten, dass sie es mit dem französischen Philosophen Voltaire (1694-1778) hielten, der einem seiner Widersacher elegant entgegenhielt: „Monsieur, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Monsieurs Voltaire war eben ein Mann von Format, der sein ganzes Leben für die freie Meinungsäußerung kämpfte – ein riskantes Unterfangen im Zeitalter des Absolutismus. Sein Kampf, sowie jener anderer Denker der Aufklärung zeitigte Früchte. Am 26.08.1789 proklamierte die französische Assemblée die „Rechte des Menschen und der Bürger“. Im Art. 10 steht: „Niemand soll wegen seiner Meinung belästigt werden („inquiété“), außer diese stört die auf das Recht abstützte öffentliche Ordnung.“ Auch die amerikanische Verfassung proklamiert am 15.12.1791 im ersten Zusatz die Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit. Wir dürfen diese demokratischen Grundprinzipien nie aus den Augen verlieren, wenn religiöse, politische oder moralische Eiferer unsere Freiheiten unter den verschiedensten Vorwänden einschränken wollen.
Joseph Wdowik, Lustenau