Intolerante Toleranz?
Es gibt in Mitteleuropa eine, sich moralisch hochwertiger als der Bevölkerungsdurchschnitt fühlende Bevölkerungsgruppe, die offensichtlich meint, die Tugend der Toleranz für sich gepachtet zu haben. Regelmäßig wird in diesem Sinne u.a. lautstark für Toleranz gegenüber Einwanderungswilligen, sexuellen Minderheiten und dem „Gender Mainstreaming“ getrommelt. Ebenso regelmäßig werden (scheinbar) moralisch nicht so hochstehende Bürger(innen) ins Intoleranz-Eck gestellt, wenn diese dem moralbürgerlichen Toleranz-Trommelwirbel nicht zujubeln oder diesen sogar hinterfragen. Immerhin begleichen alle Steuerzahler(innen) die beträchtlichen Dauerkosten der Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten und tragen als ganz normale Familien und Partnerschaften, im Vergleich zu den weniger als 5 Prozent nicht heterosexuell Orientierten, überwiegend zum Funktionieren unserer Gesellschaft bei. Wenn den einfachen und konventionellen Bürger(innen) permanent, zumindest subtil, ein schlechtes Gewissen gemacht wird, dass sie zu wenig tolerant und wertschätzend gegenüber Einwanderungswilligen, sexuellen Minderheiten und dem „Gender Mainstreaming“ sind, dann steigt schlicht die Gefahr, dass Charaktere wie Viktor Orban gewählt werden, auch bei uns. Die ehrenwerte Szene der Moralbürger(innen) beherrscht zwar mit ihrer überlegenen Rhetorik und Medienpräsenz die veröffentlichte Meinung, repräsentiert aber nur eine Minderheit von weit unter 50 Prozent der Bevölkerung. Wenn eine „moralisch hochwertige“ Minderheit der „schlichten“ Mehrheit ihren Willen aufzwingen will, dann ist das die Intoleranz der (scheinbar) Toleranten.
Dr. Klaus König, Lauterach