Jenseits von
Gut und Böse

Leserbriefe / 10.08.2021 • 17:47 Uhr

1886 kritisierte Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“ die Kategorien „gut“ und „böse“, durch die Handlungen nach ihrer Absicht statt ihrer Wirkung beurteilt werden. Nietzsche forderte ein Ende solch gefährlicher Schubladisierungen. 135 Jahre später teilen wir (ohne übergeordnete Moralinstanz!) die Welt schön dualistisch in ImpfbefürworterInnen und ImpfgegnerInnen.

Die einen glauben, man wolle sie zu Menschen zweiter Klasse degradiert sehen, und werden von den anderen für Egoisten mit ideologisch fragwürdigen Quellen gehalten. Wer sieht sich schon die 50 shades of grey zwischen Schwarz und Weiß an? Freilich gibt es elfenbeinturmbewohnende ImpfbefürworterInnen ebenso wie verschwörungstheorieaffine ImpfgegnerInnen. Diese befeuern eine Berichterstattung, die den Eindruck vermittelt, es gebe keinen wirklichen öffentlich-gesellschaftlichen Diskurs: Je nach Zielgruppe werden bestimmte Medien konsumiert, die einen schon vorhandenen Wahrnehmungshorizont meist nur bestärken. Dadurch ergeben und erhalten sich zwei gesellschaftliche Gruppen. Wir Menschen mögen es einfach. Wenn es nur zwei Seiten gibt, erleichtert das die eigene Positionierung. Die Menschheit ist aber glücklicherweise komplexer und wer meine Meinung nicht teilt, ist deswegen noch nicht mein Feind. Wir müssen eine neue Gesprächskultur (re-)etablieren: Die Voraussetzungen eines lösungsorientierten Diskurses sind gegenseitiger Respekt und Unvoreingenommenheit.

Man kann von Nietzsche halten, was man will, aber der Mann hat recht.

David Franzoi,

Bregenz