Wissen über Schule
Verwunderung ergreift mich beim Studium der Leserbriefkommentare zum österr. Schulwesen. Kürzlich lobt gar ein Herr Dr. K. das aktuelle Schulsystem und glaubt der Gesamtschule jede Berechtigung absprechen zu müssen. Zum einen könnte der Tiefenpsychologe im Lob des alten bzw. herrschenden Systems eine Identifikation mit diesem aufgrund selber dort erlebter und verdrängter Gewalterfahrungen diagnostizieren, zum anderen ist tatsächliche Unkenntnis aktuell möglicher und menschenfreundlicher Systeme erkennbar. Gemeinsam haben die Systeme bis heute: Sie sind gewalttätig, besonders strukturell wie auch psychisch. Die gut sichtbare physische Gewalt wurde gesetzlich verboten, als Potenzial aber lediglich verlagert. Geblieben ist die Gewalt von „Erziehung“ aus permanenten Anweisungen, Zurecht-
weisungen und Drohungen (Ziffernnote, Test, Zeugnis, Selektion, Segregation, Klassen-/Schulwechsel). Die Ganztagesschule verlängert die Problematik lediglich auf den ganzen Tag. Diese Systematik ist politisch erwünscht, denn sie erzeugt möglicherweise Wissen, aber auch Individuen, die überwiegend nur unter Anleitung funktionieren, besonders für die Reproduktion einer gewalttätigen Leistungsgesellschaft im Sinne eines alles zerstörenden grenzenlosen Turbokapitalismus. Auch in der angedachten Gemeinsamen Schule werden die oben geschilderten politischen Ziele prolongiert. In der Gesamtschule dagegen können die Kinder gewaltfreie Schul-, Wissens-, Lern- und Gesellschaftsstrukturen erleben. Sie erfahren und lernen Würde, Gerechtigkeit, Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit, Akzeptanz, Empathie, sowie u.a. dass irgendeine Form von Gewalt nie die Lösung eines Problems sein kann.
Dr. Ewald Berkmann, Bregenz