Hochwasser und Verkehr

Leserbriefe / 20.02.2023 • 18:48 Uhr

Wir seien von der Schweiz schon bei der Rheinregulierung über den Tisch gezogen worden, wird letzthin wiederholt behauptet, womit man eine Parallele zur heutigen Straßendiskussion ziehen will. Das kann man so nicht stehenlassen. Der Fußacher Durchstich musste der österreichischen Seite abgerungen werden, wobei er allerdings auch von 10 Vorarlberger Rheingemeinden fast flehentlich erbeten wurde. Beim Diepoldsauer Durchstich, dessen hundertjähriges Jubiläum wir heuer begehen, war es umgekehrt: Dort mussten die Schweizer nachgeben. Bis heute teilen sich die beiden Länder sämtliche Folgekosten. Innerhalb jeder Talhälfte herrschte mitnichten Einigkeit. Jede Gemeinde hatte ihre eigenen, mitunter wechselnden Standpunkte. Nicht weniger uneins waren die namhaften Flussbau-Ingenieure. Während die letzten Überschwemmungen 1888 und 1890 nur Vorarlberg verheerten, waren in den 50 Jahren davor die Schweizer Anrainer die Hauptbetroffenen. Gemeinden gegen Land bzw. Kanton, diese wiederum gegen ihre Bundesbehörden – aus dieser Gemengelage könnte jede Partei irgendwo ein Überfahrenwerden herauspicken. Rückblickend sind alle „Sieger“, und das Rheinprojekt kann als Musterbeispiel einer letztlich gelungenen, nämlich für 100 Jahre Hochwassersicherheit sorgenden frühen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit gelten. Das platte Bild einseitiger Benachteiligung sollten wir unseren Nachbarn im Jubiläumsjahr wirklich nicht liefern. Jedem war immer schon das Hemd näher als die Hose, vor allem mit steigendem Leidensdruck – sei es durch Hochwasser oder Verkehr.

Gerald Grahammer, Lustenau