Die Bettlerin
Unlängst wieder einmal über den Marktplatz schlendernd begegnete ich einer älteren Bettlerin, die, sobald Sie mich sah, einen bittenden Blick auf mich richtete. Wie üblich gab ich ihr ein kleines Almosen, das sie dankbar mit ihrer geschundenen Hand entgegennahm. Trotz ihrem von Falten zerfurchten Gesicht, ihrer mehr als einfachen Bekleidung, ihren verlatschten Schuhen sprühten ihre Augen eine kaum nachvollziehbare Zufriedenheit aus. Nach dem Murmeln „viel Glück, alles Gute für Familie“ ging sie wieder ihres Weges. Leute, die Bettlerinnen stören, obwohl sie nicht aggressiv agieren, sind an Unkenntnis und Inhumanität nicht zu überbieten. Dazu gehört auch, Hilfe für Erdbebenopfer zur Diskussion zu stellen. Untersuchungen haben ergeben, dass hier kaum mafiöse Strukturen am Werk sind, sondern Familienclans. Und Sie werden es nicht glauben, ein bisschen schenken tut verdammt gut, es fördert auch nachweisbar das Immunsystem. Hartherzigkeit hingegen wirkt sich ebenfalls aus. Vor allem die Kinder kopieren das. Nicht umsonst kommt es zu Erbstreitigkeiten und zu Unversöhnlichkeiten aufgrund von Hartherzigkeit. Ein altes indianisches Sprichwort sagt: „Bevor du einen Menschen verurteilst, musst du zuerst einige Meilen in seinen Mokassins gegangen sein.“ Sich gegen Inhumanität zu stemmen, bringt mehr als wir wahrhaben wollen.
Christian Eidler, Dornbirn