Woran glaubt Gott?

Leserbriefe / 20.09.2024 • 21:17 Uhr
Elmar Simma, Rankweil.
Elmar Simma, Rankweil.

Er glaubt an uns Menschen. Sonst gäbe es uns gar nicht. Bei Taufen zitiere ich oft den Satz von Rabindranath Tagore: „Jeder Mensch, der auf die Welt kommt, bringt die Botschaft, dass Gott die Lust am Menschen noch nicht verloren hat!“ Allerdings kann man das nur glauben, wenn jemand da ist, der oder die mich spüren lässt, dass sie sich über mich freuen. Kann es für ein Kind etwas Schöneres geben, als im Bettchen über sich die freudigen und stolzen Gesichter der Eltern zu sehen, die mit aller Liebe und Herzlichkeit das Kind anschauen, es liebevoll ansprechen oder es erleben lassen, dass es aufgehoben, geborgen und getragen ist?

Selbstwert durch andere

Erst in der Erfahrung, dass wir von anderen geschätzt und akzeptiert sind, lernen wir uns selbst zu lieben und anzunehmen, unsere eigenen Stärken zu entfalten. Ich habe deshalb Mühe mit den Wahldiskussionen und -kämpfen, weil es dort sehr oft darum geht, die anderen abzuwerten und schlechtzumachen. Viele Diskussionen gehen in diese Richtung. Besser wäre doch, die Parteien würden sich auf die eigenen Werte und Vorzüge besinnen und diese betonen.

Es ist ein Zeichen von Minderwertigkeit, wenn man andere klein macht und hinunterdrückt, damit man selbst besser dasteht. Und wenn ich dann noch pseudoreligiöse Sprüche auf Wahlplakaten lese, denke ich, da möchte sich jemand an die Stelle Gottes setzen, also größer machen, als er oder sie ist.

Sich selbst bejahen

Natürlich gibt es im Leben oft Gegenwind, Ablehnung, Konkurrenzverhalten, Eifersucht, … und das nagt am eigenen Selbstwert. Wie kann man zu sich selbst finden? Es ist hilfreich, Freunde oder Freundinnen zu haben, oder einfach ehrliche Mitmenschen, die uns wohlwollend ihre Meinung, auch kritische Ansichten sagen. Lehrer und Lehrerinnen müssen das ebenfalls tun, aber es kommt immer auf das „Wie“ drauf an. Doch wie ist der Ton in vielen politischen Diskussionen?

Für mich ist Jesus ein interessantes Beispiel. Er hatte laufend Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern, den Schriftgelehrten und Pharisäern. Aber er suchte das Gespräch mit ihnen und zog sich dann immer wieder in die Einsamkeit zurück, um im Gebet und im Nachdenken Orientierung und Ermutigung zu finden. Er blieb sich und seinem Weg treu – auch mit dem Preis seines Lebens. Er konnte das, weil er sich sogar sterbend von seinem Vater gehalten wusste.

Seine unwahrscheinliche Kernbotschaft lautet, dass die Liebe stärker ist als alles Unmenschliche und Lebensfeindliche, das von den Menschen ausgeht.

Und wenn es schwìerig wird?

Vor vielen Jahrzehnten feierten wir in Göfis einen Schuleröffnungsgottesdienst. Alle Volksschüler*innen und viele Eltern waren dabei. Plötzlich während er Messe kam die Erstklässlerin Elisabeth aus der Bank heraus und ging schnurstracks zu mir nach vorne zum Altar. Sie kannte mich, weil ich ihrer Oma monatlich die Kommunion brachte. Sie lief also auf mich zu und sagte mit weinerlicher Stimme: „Herr Pfarrer, i muass kotza!“

Wunderbar, dass sie mir das mitteilte. Ich führte sie gleich zur Mesnerin.

Es tut gut, wenn man jemanden kennt, bei dem oder der man das Herz ausschütten oder sich „auskotzen“ kann. Manchmal mag das Sprichwort stimmen „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“, aber sehr oft ist es notwendig, auch kritisch etwas zu sagen, vor allem wenn es um Schwächere geht, die eine Verstärkung benötigen. Vor Kurzem wurde der Toni-und-Rosa-Russ-Preis an zwei Frauen verliehen, die sich jahrzehntelang für die Integration von Menschen mit Beeinträchtigung eingesetzt haben. Sie zeigten, dass gerade die Behinderten Unterstützung und Hilfe brauchen, um ihren Selbstwert zu entdecken.

An wen oder was glauben wir?

Ich kenne viele Menschen, die ich sehr schätze, denen ich auch Gutes zutraue. Gleichzeitig weiß ich um die eigenen Schwächen und Grenzen. Dennoch glaube ich, dass mein Leben einen Sinn und Wert hat. Die Bestätigung durch andere tut wohl, aber ist nicht unbedingt nötig. Vor allem aber trägt mich die Überzeugung, dass Gott an uns, an mich glaubt und mir keine Bedingungen stellt. Im Blick auf die Wahl: So sehr es die Politik braucht, um das gemeinsame Leben zu regeln, die persönliche Rettung kommt von einem Anderen. In ihm gründet mein Selbstwert.

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