Leserbrief: Grasser-Urteil

Zum Leserbrief von Hr. Schneider, VN vom 31.3.25:
Für Hr. Schneider fand die Causa Grasser einen Abschluss. Endgültig wird diese Causa wohl erst durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden werden. Ob Grasser die ihm zur Last gelegten Tathandlungen begangen hat, vermag ich mangels Aktenkenntnis nicht zu beurteilen. Ob die Frage der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin Hohenecker richtig gelöst wurde, kann schon heute beantwortet werden. Dass Frau Hohenecker über den gegen sie bereits erstinstanzlich eingebrachten Befangenheitsantrag selbst (!) entscheiden durfte, ist eine Schwachstelle unserer Strafprozessordnung. Dass sie laut Senatsvorsitzender Heiliger und unserem OGH-Präsidenten „das Verfahren vorbildlich geführt“ und „keine Verfahrens- und Rechtsfehler“ begangen haben soll, ist für die Frage der Befangenheit völlig unerheblich. Befangenheit von Richtern liegt nicht erst bei tatsächlichem Fehlen der Unvoreingenommenheit vor. Für eine Ablehnung genügt der bloße Anschein von Befangenheit. Frau Hoheneckers Ehemann ist selbst Strafrichter, war ihr Ausbildungsrichter und hat in Tweets gegen Grasser gehetzt und öffentlich dessen Verurteilung gefordert, wofür er auch eine Disziplinarstrafe erhalten hat. Und die Ehefrau soll als Richterin nicht befangen sein? Zudem ist die Annahme, dass sich die Eheleute über diesen Jahrhundertprozess nicht laufend ausgetauscht und Herr Hohenecker seine Ehefrau beeinflusst haben könnte, weltfremd und naiv. Für den Linzer Strafrechtsprofessor Birklbauer hat die Befangenheitsverneinung zumindest einen „schalen Nachgeschmack“ hinterlassen.
Dr. Jörg Frey, Feldkirch