Sterben für

Leserbriefe / 01.06.2025 • 18:25 Uhr

Daugavpils?

Was 1939 in Frankreich als „Sterben für Danzig?“ aufgeworfen wurde, war jene pazifistische Haltung, die dem Aggressor die scheinbar gerechtfertigte Eroberung von Grenzterritorien zugestand und die Folgen ausblendete. Warum sollte Russland beispielsweise die überwiegend russischsprachige lettische Grenzstadt Daugavpils nicht besetzen dürfen, ohne dass die NATO den Bündnisfall ausruft? Es würde danach doch Ruhe geben – wie nach dem Anschluss der Krim, oder? Genau solche Grenzfälle testet Putin ständig durch Überflüge in EU-Hoheitsgebiet etc. Man will den Feind herausfordern, innerlich spalten und seine Reaktionen auswerten. Würde der entscheidende NATO-Artikel 5 halten, was er verspricht? Die Art des Beistandes lässt er ohnehin jedem Mitgliedsland großzügig offen. Spanien, weit vom Schuss, könnte ganz einfach nur 5000 Stahlhelme schicken! Wäre Russland nach seinen unvorstellbaren Verlusten zu einem Angriff im Baltikum fähig? „Europa hat auf dem Papier mehr Panzer und schweres Gerät als die Ukraine, aber einsatzbereit ist das nicht“, vergleicht Militärexperte Gustav Gressel. Und wo wären Europas Hunderttausende Soldaten, um eine hochgerüstete, kaltschnäuzig verheizte feindliche Riesenarmee abzuschrecken? Deutschland zweifelt sogar, ob seine Straßen- und Brückeninfrastruktur den Aufmarsch von NATO-Panzerkolonnen verkraften könnte. Aufrüstung und Mobilisierung dauern mehrere Jahre. Der russische Überfall war viel langfristiger geplant, wir glaubten es nur nicht – auch Selenskyj nicht.

Gerald Grahammer, Lustenau