Big Boss statt Big Brother: Wo die Grenzen der Mitarbeiterkontrolle sind

Markt / 02.06.2024 • 15:36 Uhr
ABD0087_20240419 – K…LN – DEUTSCHLAND: ARCHIV – 12.02.2020, Nordrhein-Westfalen, Kšln: Videokameras stehen am Roncalliplatz. In Paris wird an diesem Wochenende der Einsatz von KI-basierter VideoŸberwachung getestet, die in begrenztem Umfang wŠhrend der Olympischen Spiele in diesem Sommer eingesetzt werden soll. (zu dpa: ÇParis testet vor Olympischen Spielen KI-basierte VideoŸberwachungÈ) Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++. […]
Videokameras, welche die Überwachung einzelner Arbeitsplätze bzw. Mitarbeiter ermöglichen, beschneiden die rechte der Arbeitnehmer. Berg/dpa

Für Firmen ist die Kontrolle ihrer Mitarbeiter ein Minenfeld. Erst recht, seit die Digitalisierung neue Möglichkeiten eröffnet.

Schwarzach, Dornbirn Jodok G., Außendienstmitarbeiter eines Vorarlberger Unternehmens, hat sich gewundert. Gewundert darüber, dass sein Teamleiter auch über Autofahrten, die er am Abend und am Wochenende unternahm, Bescheid wusste. Herr G. hatte ein Firmenfahrzeug, das er allerdings auch privat nutzen konnte. Und er wusste auch, dass dank Digitalisierung sein Arbeitgeber wusste, wo er sich gerade aufhält. So weit, so gut. Dass er aber auch in seiner freien Zeit per GPS überwacht wurde, das ging ihm zu weit. Er suchte rechtlichen Rat und es stellte sich heraus: Mit Ende der Arbeitszeit endet auch das Recht auf Tracking.

Verunsicherung groß

Dem Arbeitgeber war das nicht bewusst. Im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG), das in den 1970er-Jahren in Kraft trat und das in den 1980er-Jahren nachgeschärft wurde, gibt es einen großen weißen Fleck dort, wo eigentlich die Digitalisierung mit ihren Möglichkeiten, mit ihren Dos and Don’ts stehen sollten. In Sachen Mitarbeiterkontrolle, durchaus ein Recht, das Arbeitgebern zusteht, ist die Verunsicherung besonders groß, wie die Anwälte Tülay Altuntas, Christian Wirthensohn und Alexander Wittwer von TWP Rechtsanwälte in Dornbirn im Gespräch mit den VN betonen. Eine Veranstaltung der Kanzlei mit dem langjährigen Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Innsbruck, Gustav Wachter, und Christoph Tschohl vom Research Insitute – Digital Human Rights zum Thema „Mitarbeiterkontrolle und Datenschutz“ hatte großen Zulauf aus Unternehmen – aber auch die Arbeiterkammer war vertreten.

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Die Anwälte Tülay Altuntas, Christian Wirthensohn (r.) und Alexander Wittwer (l.), TWP Anwälte, informieren über Fallstricke bei der Arbeitskontrolle. VN/SCA

Das Interesse fußt auf großer Unsicherheit, die für die Firmen teuer werden könnte. „Um immateriellen Schadenersatz verlangen zu können, muss die Datenschutzverletzung nicht erheblich sein“, klärt dazu Wirthensohn auf. Er rät deshalb zu transparenten Regeln, die mit dem Betriebsrat zwingend akkordiert und in einer Vereinbarung niedergeschrieben sind. „Wenn es keinen Betriebsrat gibt“, informiert Wittwer, „dann muss jeder Mitarbeiter informiert und um Zustimmung gebeten werden.“

Update ist notwendig

Ein Update, eine Novellierung, der Arbeitsverfassung sei dringend notwendig, so die Arbeitsrechtsexperten. „Heute sind weit mehr Daten aus dem Arbeitsleben elektronisch vorhanden und können bzw. könnten ausgewertet werden.“ Das ArbVG könne mit diesen Entwicklungen nicht Schritt halten, so Wirthensohn, denn zusammen mit der 2018 in Kraft getretenen Datenschutz-Grundverordnung und nunmehrigen ersten Erfahrungswerten ergeben sich zahlreiche ungelöste Diskrepanzen, welche Mitarbeitern wie dem oben genannten Außendienstmitarbeiter nach der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch immateriellen Schadensersatz, quasi ein „Schmerzensgeld“, zusprechen.

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Inzwischen gibt es an den meisten Arbeitsplätzen digitale “Helfer”, die auch ausgelesen werden können. Symbolbild/AP

Natürlich sind auch heimlich aufgenommene Gespräche ein No-Go, genauso wie permanente Videoüberwachung einzelner Arbeitsplätze, der Mail-Verkehr von Mitarbeitern soll ebenfalls nicht angetastet werden. Auch das Auslesen von Maschinendaten einzelner Arbeitnehmer –  durch die Digitalisierung in vielen Bereichen technisch problemlos möglich – ist wegen der fehlenden Aktualisierung des ArbVG ein Minenfeld. “Die Rechtsprechung zu Arbeitskontrolle und Datenschutz ist nicht sehr ausgiebig, deshalb sollte man datenschutzrechtliche Vorschriften immer zusätzlich beachten und mitdenken”, sagt Alexander Wittwer.

Geschärft werden müsse auf jeden Fall das Problembewusstsein. „Während große Firmen dafür entsprechende Mitarbeiter haben, sind es oft kleinere Betriebe, die sich des Problems oft gar nicht bewusst sind“, erklärt Anwältin Tülay Altuntas. Insgesamt raten die TWP-Arbeitsrechtsexperten auf jeden Fall dazu, transparente Regeln zu definieren und mit den Arbeitnehmervertretern zu akkordieren. Das könne im Fall des Falles vor hohen Gerichtskosten bewahren, sei aber auch gut für das Betriebsklima.