
Christoph Müller war vor 25 Jahren als Helfer in Galtür
Die Erlebnisse im Februar 1999 haben den Ludescher geprägt und dazu bewogen, im Heer zu bleiben.
Bludesch Die ersten zwei Jahre konnte Christoph Müller nicht über seinen Einsatz im Paznaun sprechen, wenn Galtür zum Thema wurde. “Ich bin dann raus, damals rauchte ich noch, oder aufs Klo”, erinnert er sich. Mit 17 Jahren war der Ludescher damals Grundwehrdiener in Landeck.
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“Ich war gerade mit der Handelsschule fertig”, erklärt Müller. Also rückte er ein, um dann mit 18 Jahren und abgeschlossenen Wehrdienst ins Berufsleben starten zu können. Er landete in Landeck in Tirol, immerhin bei der Tragtierstaffel. Im Februar wurde er dann Teil des Lawineneinsatzzuges, für den Fall der Fälle. “Wir waren mit Sonden und Skiern ausgestattet, mit allem Drum und Dran”, blickt der 42-Jährige zurück. In Ischgl dann der erste Einsatz, ein Auto sei verschüttet worden. Dies war jedoch ein Fehlalarm.
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Dann kam der Schnee. “Mir kam damals ein Zitat von Asterix in den Sinn: Es schneite, wir dachten uns fällt der Himmel auf den Kopf.” Große schöne Flocken waren es. Oberhalb von Galtür lagen da gute sechs Meter Schnee. Der 23. Februar begann dann wie jeder andere Tag. “Um halb fünf kam der Zugskommandant und sagte uns, dass in Galtür eine Lawine abging”, erklärt Müller. Das Ausmaß war noch unbekannt, aber die Grundwehrdiener griffen zu ihrer Ausrüstung und eilten zu den Hubschraubern. An einen Flug war jedoch nicht zu denken. “Es schneite so dicht, du sahst keine drei Meter weit”, hat der Ludescher Verständnis.

Am nächsten Morgen klarte es auf. Erst im Anflug auf Galtür wurde den Soldaten die Tragweite bewusst. “In einer Kurve konnte ich auf Galtür hinunterschauen und dachte mir, puh, das schaut nicht lustig aus”, weiß der heutige Berufssoldat noch. Dachbalken und -giebel ragten aus dem Schnee, ein Geländewagen im zweiten Stock. “Das ist nicht Ischgl, da reden wir von einer ganz anderen Partie.”

“Ab dem Zeitpunkt, nachdem wir gelandet sind, war es wie ein Film. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr, man war einfach nur am Werkeln”, erklärt Müller. “Man hat sondiert, man hat geschaufelt, man machte Pause. Man hat sondiert, man hat geschaufelt, man hat gegessen.” Stieß man beim Sondieren auf etwas Weiches, wurde gegraben. Wenn man einen Menschen fand, übernahmen die Berufssoldaten. “Das haben sie gut gemacht, wir als Grundwehrdiener hatten so keinen Kontakt zu den Verschütteten”, hielt man die jungen Männer auf Distanz.

Galtür war in dieser Woche ein Ort der Extreme. “Da saß einer auf einem Schneehaufen und weinte. Zwei Meter weiter freute sich einer richtiggehend, gleich zum ersten Mal mit einem Hubschrauber zu fliegen”, erinnert sich Müller. Angehörige gruben auf reinen Verdacht nach ihrer Familie, ganze Gebäude wurden meterweise verschoben oder zerstört.

“Unsere Piloten flogen, egal was war”, hat Müller immer noch Hochachtung vor der damaligen Einsatzbereitschaft. Die internationale Hilfe wurde für ihn zum ersten Mal sichtbar, als plötzlich Black Hawks der US-Armee über Galtür waren und die Super Pumas der Franzosen landeten. Das ganze Ausmaß wurde ihm erst bewusst, als die Grundwehrdiener abgelöst wurden und nach Landeck hinausflogen. “Als du die Tür vom Hubschrauber geöffnet hast, hattest du schon ein Teleobjektiv im Gesicht”, landete Müller in der nächsten Ausnahmesituation. Ihr erstes Ziel war dann eine warme Dusche.

Bis dahin habe man einfach funktioniert: “Da entwickelst du eine Kraft und Ausdauer, die man im normalen Leben gar nicht kennt.” Erst Tage später fing man an, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen. “Damals kannte man noch keine psychologische Betreuung für Einsatzkräfte, gab es kein KIT, kein Peer”, macht er keinem einen Vorwurf. Wenige Wochen später schaufelten Müller und seine Kameraden wieder, dieses Mal in einem Murenabgang bei St. Anton.

Galtür veränderte etwas für Müller. “Die Leute haben sich auf uns verlassen”, erinnert er sich. Das Vertrauen in das Bundesheer veranlasste ihn, sich zu verpflichten. Heute ist er Sanitätsunteroffizier und Notfallsanitäter, als Peer steht er Kameraden nach Einsätzen auch als geschulter Gesprächspartner zur Seite. Ihm selbst half 2001 ein Besuch in Galtür. “Vieles war wieder aufgebaut oder im Aufbau”, erinnert er sich zurück. “Zu sehen, die Gemeinschaft hält zusammen, dass es weitergeht – das hat mir sehr geholfen.”