Heilsame Räume schaffen

Feldkirch Wenn Menschen mit Essstörungen erstmal den Schritt machen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann sich innerhalb kurzer Zeit vieles zum Guten verändern. Diese Erfolgsgeschichten motivieren Carmen Drexler in ihrer Arbeit. „Die Betroffenen sind häufig sehr verzweifelt, wenn sie zu uns kommen“, sagt die Koordinatorin der Take care – Fachstelle für Essstörungen. „Wir bieten ihnen einen geschützten Raum, in dem Wertschätzung spürbar wird und sie neue Zuversicht finden, um gegen ihre Krankheit zu kämpfen.“

Die Aufgaben von Carmen Drexler bei der Caritas Vorarlberg sind sehr vielseitig. Die 51-Jährige führt nicht nur selbst Beratungen für Menschen mit Essstörungen durch, sondern vermittelt auch Anfragen aus dem ganzen Land an zuständige Beratungsstellen und ist im ständigen Austausch mit anderen Institutionen. Carmen Drexler kann sich kreativ einbringen und neue Formate entwickeln – wie das Erzählcafé, das die Fachstelle für Essstörungen gemeinsam mit dem Salon 13 organisiert, die Websprechstunde, bei der Pädagogen, Angehörige oder Betroffene schnell und unkompliziert Informationen über die Unterstützungsangebote in Vorarlberg und Impulse für erste mögliche Schritte erhalten, oder den virtuellen Adventskalender. Seit zwei Jahren koordiniert sie gemeinsam mit einer Kollegin einen vom Land Vorarlberg initiierten Prozess, mit dem Ziel die Angebote im Bereich Essstörungen besser zu vernetzen und sichtbar zu machen.

Tanzen in der Tenn

Auch über ihre berufliche Arbeit hinaus ist Carmen Drexler sehr aktiv. Im Rahmen ihres Projekts TENNara hat sie bei sich zuhause einen Ort geschaffen, an dem Frauen zusammenkommen, sich austauschen und anschließend gemeinsam tanzen können. Die Mutter eines 10-jährigen Sohnes engagiert sich außerdem beim vogelfreiRAUM, einem Verein für Begegnung und kulturelle Vielfalt, und sorgt gemeinsam mit einer Freundin als DJane-Duo CarMa für den richtigen Sound auf Veranstaltungen. Energie für ihre vielseitige Tätigkeiten tankt die kreative Feldkircherin bei Frauenkreisen oder beim gemeinsamen Eisbaden mit Freund*innen.

Schweigen brechen

Bevor Carmen Drexler den Weg in den Sozialbereich einschlug, war sie längere Zeit in Südamerika, wo sie Schmuck designte und selbst herstellte. Mittlerweile ist sie seit zwölf Jahren bei der Caritas beschäftigt – zunächst im Fachbereich Assistenz und Teilhabe, dann in der Suchtarbeit. An ihrer Arbeit bei der Fachstelle für Essstörungen begeistert Drexler besonders, dass sie die Möglichkeit hat, sich für eine Personengruppe einzusetzen, die sonst oft übersehen wird. „Essstörungen sind oft schambesetzt. Selbst in der Familie von Betroffenen sind sie häufig ein Tabu“, berichtet die Caritas-Mitarbeiterin. Ihr Ziel ist es, das Schweigen zu brechen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Essstörungen kein Ausdruck von Schwäche sind, sondern dass es sich dabei um eine Erkrankung handelt, der meist mehrere Faktoren zugrunde liegen. „Persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Ideale, familiäre Dynamiken, seelische Belastungen, aber auch die genetische Komponente können dabei eine Rolle spielen“, so Drexler.

Von der Gesellschaft wünscht sich die Koordinatorin der Fachstelle für Essstörungen mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander, vor allem, wenn es um Bemerkungen über Körper oder Aussehen geht. Denn sie weiß, wie tief ein einziges unbedachtes Wort treffen kann. „Fast in jeder Geschichte spielen verletzende Bemerkungen eine große Rolle“. Ein großes Anliegen ist Carmen Drexler, „dass wir uns bewusst machen, welchen Einfluss große Konzerne und Industrie auf unser Selbstbild haben.“ Ihr Wunsch für die Zukunft: „Dass wir uns von starren Schönheitsidealen lösen und wieder mehr Raum für Echtheit und Menschlichkeit schaffen.“ GHP