Ein Zuhause für die Würde

Kultur / 29.12.2025 • 11:19 Uhr
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Die Autorin entfaltet das Thema aus unterschiedlichen Blickrichtungen und regt zur ruhigen Reflexion an. Konzett

Die Bludescher Autorin Anni Mathes über Verletzlichkeit, Verantwortung und Menschsein.

Bludesch Mit ihrem Buch „Ein Zuhause für die Würde“ legt die Bludescher Autorin Anni Mathes ein stilles, sachlich reflektiertes Werk vor, das eine zentrale Frage unserer Zeit aufgreift: Was bleibt vom Menschen, wenn seine Würde übergangen, ignoriert oder systematisch infrage gestellt wird und wie lässt sie sich wiederfinden?

Mathes nähert sich dem Thema weder abstrakt noch theoretisch. Ihr Zugang ist biografisch grundiert und formal variantenreich. Jahrgang 1956, war sie über Jahrzehnte als diplomierte Krankenschwester tätig, später auch als Kinesiologin und Kinderbetreuerin. Die Erfahrungen aus diesen Arbeitsfeldern, die von Nähe zu Krankheit, Verletzlichkeit und Fürsorge bestimmt sind, prägen das Buch inhaltlich wie stilistisch. Würde erscheint hier nicht als moralischer Begriff, sondern als konkrete, oft brüchige Alltagserfahrung.

Seit 1998 ist Mathes literarisch aktiv, unter anderem in der Arbeitsgruppe Mundart der Literatur Vorarlberg. Zeugnisse ihrer kontinuierlichen und ernsthaften Auseinandersetzung mit Sprache sind die Fortbildung im Fernstudium „Journalismus und Schriftstellerei“an der Neuen Kunstschule in Zürich (2001–2006), die Ausbildung zur Seminarleiterin für Märchenschreiben sowie die Gründung der eigenen Schreibwerkstatt.

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Die Kapitel widmen sich unterschiedlichen Lebenssituationen: von der Würde von Kindern, Frauen und Männern, von Kranken, Alten und Trauernden bis hin zur Würde von Tieren und der Natur. Sie stehen nicht isoliert nebeneinander, sie fügen sich zu einem strukturierten Ganzen. Die Autorin verzichtet auf moralisierende Kommentare. Ihre Sprache bleibt kontrolliert, klar und zurückgenommen. Sie ist getragen von der Überzeugung, dass Würde nicht eingefordert, sondern erinnert werden muss.

Anni Mathes hat das Buch einer Freundin gewidmet. An ihrem Lebensweg zeigt sich, wie früh und wie tief die Menschenwürde verletzt werden kann – bereits in der Kindheit, in der eigentlich Vertrauen, Schutz und Selbstverständlichkeit wachsen sollten. Rosalia erlebt, wie ihr eigenes Ich durch Manipulation, Drohung und Schweigen schrittweise ausgelöscht wird, wie Scham zur prägenden Grundemotion wird und Selbstbestimmung gar nicht erst entstehen darf.

Formal öffnet sich das Buch unterschiedlichen Schreibformen. Prosatexte, lyrische Passagen und Dialektbeiträge stehen gleichwertig nebeneinander. Mathes, unter anderem ausgezeichnet mit dem Vorarlberger Literaturpreis (2013), nutzt die Möglichkeiten literarischer Formen bewusst, ohne stilistische Effekte in den Vordergrund zu stellen.

Am Ende steht kein Appell, sondern ein verhaltener Ausblick darauf, dass Würde wieder erinnert und sichtbar gemacht werden kann, im Privaten wie im Sozialen. Anni Mathes hat ein Buch geschrieben, das auf vordergründige Wirkung verzichtet und genau darin seine Kraft entfaltet. Es fordert Konzentration und Bereitschaft zur Auseinandersetzung und leistet einen differenzierten Beitrag zur öffentlichen Debatte über ein oft strapaziertes und selten konkret durchdachtes Wort. Das Vorwort verfasste Albert Lingg, der ehemalige Primar am LKH Rankweil.

Ein Zuhause für die Würde

Anni Mathes
Vorwort: Dr. Albert Lingg. (ehem. Leiter des LKH Rankweil)
172 Seiten, bebildert
Hardcover gebunden