Das sagt der Verkehrsexperte zur Tempo-20-Zone

Mobilität / 13.03.2024 • 11:00 Uhr
Das sagt der Verkehrsexperte zur Tempo-20-Zone
Christian Wolf ist verkehrstechnischer Sachverständiger beim Amt der Vorarlberger Landesregierung. VN/Stiplovsek – VN/RAUCH

Die 20er-Zone in Bregenz löst Unmut aus. Anwohner reagieren mit einer Petition, während die Stadt sich auf ein Gutachten stützt. Der renommierte verkehrstechnische Amtssachverständige Christian Wolf sieht die Maßnahme kritisch.

Bregenz Zahlreiche Anwohner stellen die Grundlage der Tempo-20-Verordnung am Bregenzer Funkenbühel infrage. Die Stadt Bregenz gab bekannt, dass die Entscheidung auf einem Gutachten basiere, das von den zuständigen Amtssachverständigen erstellt worden sei. Um zu ergründen, anhand welcher Kriterien solche Gutachten üblicherweise erstellt werden, wandten sich die VN an den verkehrstechnischen Amtssachverständigen der Vorarlberger Landesregierung, Christian Wolf.

Das sagt der Verkehrsexperte zur Tempo-20-Zone
Seit knapp einem Jahr gilt am Bregenzer Funkenbühel eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 20 km/h – eine Ausnahmeerscheinung, da abgesehen von Begegnungszonen keine weiteren Strecken mit dieser Beschränkung in Vorarlberg existieren.

Kriterien für Geschwindigkeitsreduktionen

“In Vorarlberg sind mir, abgesehen von Begegnungszonen, keine 20er-Zonen bekannt – mit Ausnahme dieses Projekts in Bregenz”, so Wolf. Bei einer Reduktion der Geschwindigkeit von 50 km/h auf 40 oder 30 km/h werde zuerst geprüft, wie sich die Situation des Begegnungsverkehrs darstellt. “Entscheidend sind Fragen, wie etwa, ob die Fahrbahnbreite einen Begegnungsverkehr zulässt und, wenn ja, welchen”, führt der Experte aus. Daraufhin werde bestimmt, ob das Gebot des Fahrens auf Sicht* oder das Fahren auf halbe Sicht anzuwenden ist. “Dass man bei 30 km/h das Fahren auf halbe Sicht aufgeben muss und deshalb auf 20 km/h reduzieren sollte, setzt voraus, dass die Sichtverhältnisse massiv eingeschränkt sind.”

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Die Strecke am Funkenbühel ist aber auf weiten Teilen sehr geradlinig und übersichtlich. “Angesichts der vorherrschenden Sichtverhältnisse und der idealen Voraussetzungen erscheint eine Reduktion auf 20 km/h über den gesamten Bereich als übertrieben”, argumentiert Wolf. Er betont, dass grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz gilt: Jeder Fahrzeuglenker muss seine Geschwindigkeit so wählen, dass er den Fahrbahnbedingungen, der Fahrbahngeometrie und dem Verkehrsaufkommen entsprechend sicher fahren kann.

Das sagt der Verkehrsexperte zur Tempo-20-Zone
Die Verordnung betrifft die Straßen Funkenbühel und Am Stein in Bregenz, die als wichtige Verbindungsstraße für die Anwohner fungieren.

Notwendigkeit der Geschwindigkeitsreduktion

„Bei solchen Gutachten ist zu prüfen, ob eine Reduktion der höchsten zulässigen Geschwindigkeit aus verkehrstechnischer Sicht unbedingt erforderlich ist oder nicht”, erklärt der Sachverständige. Das Wort, das hier wichtig ist, sei “unbedingt”. “Unbedingt in diesem Zusammenhang bedeutet, dass eine Geschwindigkeitsreduzierung eingeführt werden muss, da ansonsten häufig schwere Unfälle passieren.”

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Wenn ein Verkehrsbereich eine sogenannte Unfallhäufungsstelle ist, also ein Abschnitt, in dem es vermehrt zu Unfällen kommt, prüfen die Landesregierung und die Gemeinden diese Abschnitte. „Dann wird nach geeigneten Lösungen zur Reduzierung von Unfällen in diesen Bereichen gesucht“, so Wolf. Da es in dem Bereich am Funkenbühel keine nennenswerten Unfälle gab, falle das Argument einer Unfallhäufungsstelle jedoch weg.

Das sagt der Verkehrsexperte zur Tempo-20-Zone
Die überwiegenden Teile der Strecke sind übersichtlich und verlaufen sehr geradlinig.

Alternative Maßnahmen

“Die bloße Intention, Autofahrer zu einer geringeren Geschwindigkeit zu animieren, entspricht nicht dem eigentlichen Ziel eines technischen Gutachtens über die Notwendigkeit einer Geschwindigkeitsreduzierung”, erklärt Wolf. Zudem sei eine Überwachung dieser Bereiche unerlässlich, um eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 20 km/h effektiv durchzusetzen. “Ohne gezielte Überwachung durch die Exekutive neigen Fahrer dazu, solche Vorgaben zu ignorieren”, erklärt der Sachverständige.

Das sagt der Verkehrsexperte zur Tempo-20-Zone
Nach Einschätzung von Christian Wolf existieren geeignetere Maßnahmen als eine Geschwindigkeitsreduktion auf 20 km/h, um Fahrzeuglenker zu einem langsameren Fahrverhalten zu bewegen.

Er vertritt die Auffassung, dass es wirksamere Strategien gibt, um den Verkehrsfluss zu verlangsamen. Nach Wolfs Ansicht lassen sich Fahrer durch strukturelle Veränderungen im Straßenraum dazu bewegen, langsamer zu fahren. Dies könne durch bauliche Maßnahmen, Bodenmarkierungen oder das Aufstellen von Pflanztrögen und ähnlichen Hindernissen erreicht werden, die eine vorsichtigere Fahrweise fördern.

Anmerkung des Sachverständigen

*”Ist die Fahrbahn so schmal (Restbreite weniger als 3,5 Meter), dass das breiteste Fahrzeug (laut KFG 2,55 Meter Gesamtbreite) nicht oder nicht ungehindert vorbei kann, dann ist die Fahrgeschwindigkeit so zu wählen, dass man bis zur Hälfte der einsehbaren Strecke verlässlich anhalten kann.”