Die Kugel, die trifft

02.08.2024 • 14:50 Uhr
Die Kugel, die trifft
Die Uraufführung fand am 1. August statt. anja koehler / festspiele

Im Rahmen der Bregenzer Festspiele wurde die Uraufführung des Stücks „Mondmilch trinken“ im Theater Kosmos gefeiert.

Bregenz Vorausgegangen ist der Uraufführung eine Ausschreibung mit dem vorgegebenen Thema „Deal or no deal“, angelehnt an Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ in Kooperation mit den Bregenzer Festspielen, aus dem das Siegerstück „Mondmilch trinken, immer und jetzt / dein solarplexus ist mir egal“ des gebürtigen Salzburgers Josef Maria Krasanovsky entwickelt wurde. Krasanovsky arbeitet als freischaffender Regisseur und Autor an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien sowie an der Schauspielakademie in Passau.

Die Kugel, die trifft
anja koehler / festspiele

Die Kugeln fliegen nur so um die Ohren

Gleich zu Beginn erwartet das eintretende Publikum ein Ensemble, das schwitzend und keuchend in voller Montur, mit weißen Klapphelmen, blauen Jacken und dunklen Leggings ein Work-out Programm absolviert. Mit Dauergrinsen, denn „wer dabei sein will, kann ja auch wirklich mal lächeln“, fordern die „Kugeln“ – gemeint ist damit das schwitzende Ensemble, eine Ordnung des Zusammenlebens. „Jetzt tun wir mal nicht so, als wären wir nicht dabei“ und dabei werden die Realitäten abgesteckt: „Das ist ja alles nur ein Konjunktiv da draußen, aber ich bin echt!“ Wer bin ich und wer möchte ich sein? – die thematische Ausgangsposition des „Freischütz“.

Die Kugel, die trifft
anja koehler / festspiele

Die „Freikugeln“ (die Texte der Schauspieler) beginnen zu fliegen, die Zuschauer werden mit Themen und Inhalten „bombardiert“, dass einem nahezu Hören und Sehen vergehen. Sechs, sieben, acht und weiter geht’s mit Karacho. Beströmen und fluten sind die Mechanismen, die das ausgezeichnete Ensemble, bestehend aus Claudia Carus, Johanna Hainz, Sophie Hewig, Benjamin Kornfeld, Sascha Schicht und Valentin Späth, perfekt beherrschen. Die „Kugeln“ stehen für die Ordnung der Welt, aber auch für Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit – im „Freischütz“ treffen davon sechs unfehlbar mit Hilfe des Teufels ihr Ziel. Die siebte jedoch lenkt der Teufel selbst.

Die Kugel, die trifft
anja koehler / festspiele

Man ist geneigt, mit Thomas Bernhard zu sagen: „Jedes Wort (jede Kugel) ein Treffer!“ Überfrachtung, Überforderung, Reizüberflutung ist das Prinzip dieses Textes und Josef Maria Krasanovsky behält trotz der Textflut immer einen Überblick. Ob es dabei um die nahezu ausgestorbene Papageienart Kakapo oder um das Eintreten des Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsuns für den Nationalsozialismus geht. Oder sogar um Platons Erzählung von den Kugelmenschen, jene vierfüßigen und vierhändigen Wesen mit zwei Gesichtern, die aufgrund ihres Hochmuts von Zeus geschwächt worden sind, indem er sie in zwei Hälften teilte, also in die heutigen zweibeinigen Menschen, und in Mann und Frau. Klimacowboys in der Person von Luke Iseman und Terry Andrews treten auf, die mit Helium und Schwefeldioxid gefüllte Ballons in die Stratosphäre steigen lassen und sie dort oben zum Platzen bringen. Das freigesetzte Schwefeldioxid soll Wolken bilden, die Sonnenstrahlen reflektieren und dadurch die Erde kühlen. Kein Witz, willkommen in der Gegenwart.

Die Kugel, die trifft
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Voll ins Schwarze

Die Quintessenz: Alle sind mit allem überfordert, jede Frau, jeder Mann macht täglich seine Deals, ob bei der Arbeit, beim Essen, bei der Liebe, „Tag für Tag müssen wir mit uns selbst verhandeln, der tägliche Kampf ums Dasein, der manchmal apokalyptische Ausmaße annimmt“, zum Teufel mit den „Totjammerern“, es lebe die Gegenwart! Es lebe die Affirmation! Abschließend das Gruppenfoto mit Gegenwartsbanner und Publikum, das aufgefordert ist „Hallo Gegenwart“ in die Kamera zu skandieren. Ein vergnüglicher Theaterabend – „man wird ja bitte auch irgendwann mal was fordern dürfen. Irgendwann!“ Die Kugel trifft ihr Ziel. Touché. THS

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