“Ich glaubte, dass meine letzte Stunde geschlagen hat”

16.08.2024 • 17:12 Uhr
Helmut
Helmut Starzinger ist mittlerweile 89 Jahre alt. Heute geht er gern wandern und radfahren.

Helmut Starzinger war über viele Jahre ein begeisterter Bergsteiger. Einmal geriet er auf einem Viertausender in einen Blizzard.

Bregenz Helmut Starzinger (89) war in seiner Jugend ein leidenschaftlicher Skifahrer. Der Kennelbacher nahm an den Vorarlberger Jugendlandesmeisterschaften teil. „Einmal wurde ich trotz eines Sturzes sogar noch vierter.“ Aber das Skifahren hatte seinen Preis. „Sieben Mal verletzte ich mich bei Skirennen am linken Bein.“ Die Ärzte teilten dem jungen Mann mit, dass er wegen seines lädierten Beines keinen Sport mehr machen darf. „Ich fand mich mit meinem Schicksal ab.“ 15 Jahre hielt sich der Werkzeugbau-Meister an den Rat der Ärzte und ging nur noch fischen.

Aber dann riss ihm der Geduldsfaden. „Ich dachte mir: ,Jetzt mache ich mein Bein ganz kaputt und tue das, was mir verboten ist.“ Helmut schwang sich jeden Tag nach der Arbeit auf sein Rennrad und fuhr rund um den Vorderwald. „Ich merkte, dass das meinem Bein nichts tat.“ Deshalb wagte er sich auch an Fußmärsche heran. Aber es blieb nicht beim Wandern. Helmut wollte mehr. Er wollte bergsteigen und steile Felswände erklimmen. Der sportbegeisterte Kennelbacher kaufte Bücher über moderne Fels- und Eistechnik und eignete sich so fundierte Kenntnisse übers Bergsteigen an. Parallel dazu begann er (hohe) Berge zu besteigen, auch schwierige Kletterberge wie etwa das 4221 Meter hohe Zinalrothorn. Dieses meisterte er über den Kanzelgrat.

“Wenn man das Bergsteigen richtig gelernt hat, ist die Gefahr nicht so groß. Ich bin nie ins Seil gefallen.”

Nach jeder seiner Touren schrieb er nieder, wo er war und wie die Tour verlief. „In der Pension habe ich dann aus den Unterlagen ein Tourenbuch gemacht.“ Deshalb kann er heute mit Gewissheit sagen: „Ich habe 2690 verschiedene Touren gemacht, insgesamt 4851 Gipfel bezwungen, davon 59 Viertausender.“

Helmut entwickelte sich zu einem Spitzenbergsteiger -und kletterer, der auch Erstbegehungen machte, wie etwa die Nordwandrinne zur Wasenspitze oder den Westgrat zum Goppaschroffen. Er bezwang Kletterberge wie den Salbitschijen-Westgrat in der Schweiz oder die Schleierkante in Italien. In den 80er Jahren machte er ohne Seil eine Montblanc-Überschreitung. Dabei überwand er drei Gipfel.

Zimba 126 Mal bezwungen

Auch hierzulande war er als Bergsteiger sehr aktiv. Er überschritt sieben Gipfel in der Silvretta an einem Tag. Auch die Vandanser Steinwand überquerte er. Das Sarottlahorn bezwang er mehrmals über die direkte Nordwand. Auf der Zimba war er 126 Mal. „Viele Jahre war ich der erste und der letzte im Jahr, der die Zimba, den Zwölferkopf und den Roggelskopf bestieg.“ Sein Trainingsberg war die Mörzelspitze. „Ich habe sie bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit über den Laubergrat bestiegen, insgesamt 868 Mal.“

Bergsteigen wurde zur Sucht. „Wenn man es richtig gelernt hat, ist die Gefahr nicht so groß. Ich bin nie ins Seil gefallen.“ Dennoch: Helmut hatte oft Glück in den Bergen. Er hat eine eigene Mappe angelegt, in der er die 39 Touren, bei denen er seine Schutzengel strapazierte, dokumentiert hat. „Manchmal lese ich meiner Urenkelin Leonie daraus vor.“

“Ich betete das Vaterunser”

Nie wird Helmut, der oft Tourenführer war, vergessen, wie er und seine drei Bergkameraden am Obergabelhorn (4063 m) im August 1983 in einen Blizzard gerieten. „Eine kohlschwarze Wand kam auf uns zu. Es wurde plötzlich stockdunkel. Der Wind tobte. Der Schnee kam waagrecht daher. Ein Blitz um den anderen schlug neben mir ein.“ Helmut glaubte, dass seine letzte Stunde geschlagen hat. „Ich betete das Vaterunser. Auf einmal aber war alles vorbei. Es wurde wieder hell. Wie durch ein Wunder überlebten auch meine drei Bergkameraden.“

Seinen ersten großen Schutzengel in den Bergen hatte er beim Abstieg von der Madrisa im September 1977. „Der Fels war eisig. Ich glaubte mit der Hand einen guten Griff zu haben, aber es war Eis, das weggebrochen ist. Ich bin ausgerutscht und drei Meter hinuntergestürzt auf einen schmalen Felsgrat. Dabei habe ich mir alle Finger verstaucht. Nur mit viel Glück bin ich nicht die ganze Wand hinuntergefallen.“

In den Bergen wurde Helmut, der heute gerne wandert und Rad fährt, gläubig. „Es glaubt fast jeder an Gott, der dem Himmel so nahekommt. Das alles muss doch jemand erschaffen haben.“ Mit Dankbarkeit blickt der 89-Jährige, der vor zwei Jahren noch den Laubergrat im Winter bezwang, auf seine Bergsteigerkarriere zurück. „Die Berge gaben mir Lebensfreude und Kraft für meinen Beruf.“ Als Leiter der Qualitätssicherung bei der Kennelbacher Firma Alu-Bug-Technik war Helmut immer sehr gefordert.

Impressionen eines Bergsteigerlebens

Helmut
Helmut
Helmut
Starzinger
Starzinger
Starzinger
Starzinger
Starzinger
Starzinger
Starzinger
Starzinger
Starzinger