Gewalt in Heim oder Pflegefamilie: “Viele brechen Schweigen erst nach Jahrzehnten”

Noch immer beantragen Opfer eine Entschädigungszahlung beim Land. Bundesweit gibt es hunderte neue Anträge auf eine Heimopferrente.
Schwarzach Gehört werden. Darum geht es zahlreichen Opfern, die als Kind in Heimen oder Pflegefamilien Gewalt erfahren haben. Ihnen steht eine Entschädigung für das Leid zu, das sie erleben mussten. Das Geld sei aber Nebensache, berichtet Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer. Die Betroffenen wollten erzählen – und dabei ernst genommen werden. Viele brechen ihr Schweigen erst nach Jahrzehnten.
Seit 2010 betreibt die Kinder- und Jugendanwaltschaft eine Opferschutzstelle, an die sich Betroffene wenden können. Netzer spricht mit ihnen. „Es geht um schwer traumatisierte Personen.“ Eine Person hätte 50 Jahre kein Wort über das Erlebte verloren. Erst im vergangenen Jahr sei es ihr gelungen.
Seit 2010 haben sich im Land 468 Personen bei der Opferschutzkommission gemeldet. Im vergangenen Jahr sind es zwölf Menschen gewesen. „Der älteste Betroffene war im Bereich von 80 Jahren, der jüngste unter 30“, berichtet der Kinder- und Jugendanwalt.
Leid über Jahrzehnte
Die Fälle sind völlig unterschiedlich, reichen von den 50er Jahren bis in die 2000er und betreffen Einrichtungen wie Jagdberg oder Jupident. „Nicht immer geht es nur um den Missbrauch durch Betreuer, sondern auch um Konflikte oder Missbrauch unter den Kindern selbst und um die Frage der Aufsichtspflicht.“ Auch Missbrauch in Pflegefamilien war in den vergangenen Jahren Thema.

Mittlerweile haben sich die Meldungen auf einem gleichbleibenden Niveau eingependelt, erklärt Netzer. „Man hat angenommen, dass sich immer weniger an uns wenden, aber es gibt immer noch Menschen, bei denen die Erlebnisse erst jetzt wieder hochkommen.” Umso wichtiger sei es, die Opferschutzstelle beizubehalten. „Während andere Bundesländer reduzieren oder die Zahlungen aussetzen, wurde in Vorarlberg ausgeweitet.“ Früher konnten sich nur Opfer melden, wenn die Tat vor dem Jahr 2000 geschehen ist. Vor rund einem Jahr ist diese Frist verlängert worden, jetzt muss die Tat vor 2011 passiert sein.
Die einzige Einschränkung: Ab Jänner 2026 wird die Opferschutzkommission des Landes keine Fälle mehr bearbeiten, die sich vor mehr als 60 Jahren ereignet haben – gerechnet ab Beendigung der Unterbringung. Die Heimopferrente des Bundes betrifft diese Einschränkung nicht.
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Zwei Millionen Euro
„Bei den einmaligen Entschädigungszahlungen des Landes haben wir mittlerweile die Marke von zwei Millionen Euro überschritten.“ Den zwölf Betroffenen, die sich 2024 gemeldet hatte, wurde insgesamt 19.500 Euro zugesprochen, also durchschnittlich 1625 Euro pro Person. Die Höhe wird individuell festgelegt. Hinzu kommen Kosten für eine Psychotherapie: Über 184.000 Euro waren es bisher, die das Land den Opfern von Gewalt in Heimen oder Pflegefamilien bereitgestellt hat.
Heimopferrente vom Bund
Menschen, denen eine Entschädigung zugesprochen wird, können sich an das Sozialministeriumsservice oder die Pensionsversicherungsanstalt wenden und erhalten automatisch eine Heimopferrente. Sie beträgt mittlerweile 421,60 Euro. Österreichweit haben am 1. Jänner des vergangenen Jahres 5841 Personen eine solche Heimopferrente bezogen. Aktuellere Zahlen liegen laut Sozialministerium noch nicht vor.

Betroffene können sich auch an die Volksanwaltschaft wenden, berichtet Volksanwalt Bernd Achitz. 2024 sind dort 560 Anträge auf Heimopferrente eingegangen. Die Rentenkommission habe 504 Fälle besprochen und davon in 485 Fällen eine positive Empfehlung abgeben. Anders als die Entschädigungszahlung des Landes gilt hier nach wie vor die zeitliche Begrenzung bis ins Jahr 1999. Dennoch geht man in der Volksanwaltschaft davon aus, dass es noch immer Anspruchsberechtigte gibt, die von ihrem Recht auf die Heimopferrente nichts wissen. Die Zahlung sei wichtig als symbolische Wiedergutmachung, sagt Achitz – als Zeichen, dass die Gewaltopfer und ihre Geschichten gehört werden.
Informationen zur Opferschutzsstelle bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft können Sie hier nachlesen. Informationen zur Heimopferrente bietet die Volksanwaltschaft.