“Plötzlich war da diese Taubheit” – unheilbar krank mit 21

28.05.2025 • 16:00 Uhr
"Plötzlich war da diese Taubheit" – unheilbar krank mit 21
Elias Wehinger aus Feldkirch spricht offen über seine kürzlich gestellte MS-Diagnose. Die orange Schleife symbolisiert Solidarität mit von Multipler Sklerose betroffenen Menschen. Wehinger/Canva

Am Freitag ist Welttag der Multiplen Sklerose (MS). Elias Wehinger hat erst vergangene Woche die Diagnose MS erhalten – mit 21 Jahren. Mit den VN spricht er über seine Erkrankung, ihre Unsichtbarkeit und neue politische Perspektiven.

Darum geht’s:

  • Elias Wehinger erhielt mit 21 Jahren die Diagnose MS.
  • MS ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems. Am 30. Mai ist Welt-MS-Tag.
  • Therapien haben sich in den letzten Jahrzehnten verbessert, erklärt Dr. Gerhard Philip Steger.

Feldkirch Als Elias Wehinger an einem Morgen aufwachte und die eine Körperhälfte taub war, dachte er zunächst an etwas Vorübergehendes. Doch das Gefühl blieb. Es folgten MRTs und eine Lumbalpunktion. Erst vor wenigen Tagen kam die Diagnose: Multiple Sklerose (MS). “Das reißt dir den Boden unter den Füßen weg”, sagt der 21-jährige Feldkircher.

Elias Wehinger
Elias Wehinger erfuhr erst vor wenigen Tagen von der Diagnose. MS ist neben der Epilepsie eine der häufigsten neurologischen Krankheiten bei jungen Erwachsenen.Wehinger

“Krankheit der tausend Gesichter”

Am Freitag, 30. Mai, ist Welt-MS-Tag – ein Aktionstag, der weltweit auf die noch immer unheilbare Krankheit aufmerksam macht. Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn, das Rückenmark und die Nervenfasern betrifft. In Österreich sind rund 12.500 Menschen betroffen, jährlich gibt es etwa 350 bis 400 Neuerkrankungen. Laut dem Dornbirner Neurologen Dr. Gerhard Philip Steger leben in Vorarlberg etwa 400 Menschen mit der Diagnose – das entspricht etwa einem von tausend Einwohnern. Besonders häufig betroffen sind junge Frauen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, erklärt Steger auf Anfrage der VN.

Als Symptome treten häufig Koordinationsprobleme, Sehstörungen oder Lähmungen auf. Auch Kribbeln oder Taubheitsgefühle sind möglich. Viele berichten von einem Zustand massiver Erschöpfung. MS gilt als die “Erkrankung der tausend Gesichter”, da sie bei jeder und jedem anders verläuft und es nicht das eine typische Krankheitsbild gibt.

“Die Erschöpfung ist nicht vorstellbar”

Auch bei Wehinger begannen die Symptome mit Taubheitsgefühlen. Besonders belastend erlebt er derzeit vor allem eines: “Die Erschöpfung ist unbeschreiblich – das ist nicht wie bei einem grippalen Infekt. Man liegt 18 Stunden am Tag und hat dann trotzdem nicht einmal Kraft für einen Kaffee.”

Elias Wehinger
Wehinger geht offen mit seiner Diagnose um. Wehinger

Der junge Mann spricht offen über das, was viele in sich tragen: Angst, Unsicherheit, Ungewissheit. “Es kann schnell auf die Psyche schlagen – mentale Stärke ist unglaublich wichtig”, erklärt Wehinger, der bereits in jungen Jahren politisch aktiv war, zuerst als Vorsitzender der Jungen Generation der SPÖ, später auch als Stadtparteivorsitzender der Feldkircher SPÖ. Er hat sich bewusst entschieden, seine Diagnose öffentlich zu machen. “Ich wollte mich nicht verstecken. Es ist eine Krankheit, die man nicht sieht. Ich wollte mein eigenes Narrativ schreiben, Offenheit ist auch eine Form von Selbstschutz.”

Vergangenen Herbst zog er sich aus persönlichen Gründen aus der Politik zurück, doch die Diagnose brachte ihn ins Nachdenken: “Ich spüre, dass es mich wieder dorthin zieht. Gerade diese Krankheit hat mir gezeigt, wie sehr politische Themen wie soziale Absicherung, Barrierefreiheit oder medizinische Versorgung an Relevanz gewinnen.”

stellvertretende Stadtparteivorsitzende Stefanie Matei, SPÖ-Landesparteivorsitzender Mario Leiter und Elias Wehinger
Erst im Herbst zog sich der 21-Jährige aus der Politik zurück.

Ursachen unbekannt

Warum genau man an MS erkrankt, sei wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt, erklärt Steger, der sich in seiner Praxis unter anderem auch auf MS spezialisiert hat. Vermutet werden unter anderem eine genetische Veranlagung, Infektionen wie das Epstein-Barr-Virus sowie Umweltfaktoren wie geringe Sonnenbestrahlung und niedriger Vitamin-D-Spiegel.

“Therapie hat sich deutlich verbessert”

Die Therapiechancen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten jedoch enorm verbessert, betont Neurologe Steger: “Die Multiple Sklerose hat ihren Schrecken verloren. Wir stehen heute nicht mehr mit leeren Händen da”, sagt Steger. Moderne Medikamente ermöglichen individuell angepasste Behandlungen. “Sogar schwere Verläufe lassen sich inzwischen gut therapieren”, zeigt sich der Arzt zuversichtlich.

"Plötzlich war da diese Taubheit" – unheilbar krank mit 21
Die Therapien haben sich seit 2005 massiv verbessert, betont Dr. Gerhard Philip Steger. www.neurologie-steger.eu

Elias Wehinger achtet seit der Diagnose bewusster auf sich und lernt mit den Kräften hauszuhalten. “Dinge, die selbstverständlich waren, funktionieren plötzlich nicht mehr.” Die Erkrankung hat sein Denken verändert. “Wir leben in der Vorstellung, dass man ins Krankenhaus geht und gesund wieder herauskommt. Aber eine chronische Erkrankung begleitet dich dein ganzes Leben lang. Das Leben geht weiter, aber anders.”