“Es ist ein Leben ohne Leben”

07.08.2025 • 13:39 Uhr
ME/CFS-Demo Landhaus Bregenz
Im Mai machten Betroffene und Familienangehörige vor dem Landhaus auf sich und ihre prekäre Situation aufmerksam. VOL/Waanders

Am 8. August wird alljährlich der schwer an ME/CFS erkrankten Menschen und deren unzulänglichen Versorgung gedacht.

bregenz Seit 2013 ist der 8. August als Internationaler „Severe ME/CFS-Gedenktag“ bekannt. Er soll auf die unzulängliche Unterstützung von schwer an dieser Multisystemerkrankung leidenden Menschen aufmerksam machen. Sowohl medizinisch wie sozial-rechtlich hängen Betroffene von ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) praktisch in der Luft. Die Forderung nach einer spezialisierten Anlaufstelle verhallte bislang ungehört. Auch in Vorarlberg herrscht auf politischer Seite diesbezüglich Stillstand. Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher will weiterhin eine bundesweite Lösung abwarten. Die im Land schon gut etablierte Selbsthilfegruppe, der bereits über 100 Mitglieder angehören, spricht von einem Leben ohne Leben und einer stillen humanitären Katastrophe.

Laut dem Nationalen Referenzzentrum für postvirale Syndrome an der MedUni Wien sind, basierend auf internationalen Daten und eigenen Studien, in Österreich rund 73.500 Personen von ME/CFS betroffen, für Vorarlberg wird ihre Zahl mit knapp 3300 angegeben. Eine genauere Erhebung sei unter anderem aufgrund veralteter Diagnosekriterien schwierig. Sicher sind sich die Expertinnen und Experten des Referenzzentrums jedoch darin, dass ME/CFS aktuell deutlich unterdiagnostiziert ist. Sie sehen einen akuten Bedarf an Versorgungsstrukturen, auch, weil mit einer Zunahme an Betroffenen in den kommenden Jahren gerechnet werden müsse.

Massive Auswirkungen

Die Erkrankung kann massiv in den Alltag von Patienten eingreifen (die VN berichteten). In ihrer schwersten Ausprägung fesselt ME/CFS Menschen ans Haus oder ans Bett. Sie sind praktisch rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Ihr Anteil liegt bei etwa 20 Prozent. Der Großteil, nämlich 60 bis 65 Prozent, ist nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig. Zu den Diagnosen Chronisches Fatigue Syndrom, Post-Covid-19-Zustand und sonstigen Krankheiten des autonomen Nervensystems lagen der ÖGK 2024 in Vorarlberg 143 Arbeitsunfähigkeits- sowie 23 Krankenhausaufenthaltsmeldungen vor. Heuer waren es bis dato 59 Krankmeldungen und 21 Hospitalisierungen. „Trotz der Häufigkeit und einer hohen Suizidrate begegnen Erkrankte in Vorarlberg politischer Ignoranz und Gleichgültigkeit“, kritisieren Vertreter der Selbsthilfegruppe scharf.

Mehr Wissen und Forschung

Der Bregenzer Allgemeinmediziner Thomas Jungblut (66) hat sich von Anfang an für die Belange von ME/CFS-Erkrankten stark gemacht. Seit einer Informationsveranstaltung, an der 42 Ärztinnen und Ärzte teilnahmen, würden mehr Diagnosen gestellt, sagt Jungblut und ergänzt: „Es fehlt aber eine spezialisierte Anlaufstelle, um die Diagnosen zu bestätigen.“ Das sei in Hinblick auf die sozial-rechtliche Absicherung von Betroffenen ein Riesenproblem. Er stellt klar: „Diese Menschen sind zu invalidisieren.“ Zudem brauche es mehr Wissen in der Ärzteschaft und mehr Forschung. „Wir müssen dranbleiben“, fasst Jungblut zusammen. Die Arbeit der Selbsthilfegruppe bezeichnet er als wichtig, um das Thema in seinem ganzen Ausmaß darzustellen.

Stichwort: ME/CFS

Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine chronische Multisystemerkrankung. Das Leitsymptom ist eine nach Belastung einsetzende starke Zustandsverschlechterung, die als post-exertionelle Malaise (PEM) bezeichnet wird. Die Symptome führen zu erheblichen Einschränkungen im Alltag und in schweren Fällen zu einem hohen Grad an Behinderung. ME/CFS tritt meist infolge viraler Infektionskrankheiten auf. Die genauen Mechanismen, die die Entstehung und Entwicklung der Krankheit bewirken, sind unbekannt. Beschrieben werden vor allem Störungen des Immunsystems, des Stoffwechsels, des Nervensystems und der Durchblutung. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht, manche Symptome können jedoch mit Medikamenten gelindert werden.