Dirk Stermann: Der Staat als Irrsinnsentwurf!

Das neueste Buch des Kabarettisten trägt den Titel “Republik der Irren”.
Wien „Republik der Irren“, betitelt Late-Night-Comedian, Schauspieler und Intellektuelle Dirk Stermann seinen neuen Roman. Wer nun glaubt, es geht um Österreich, liegt jedoch falsch. Der Kleinstaat Fiume war noch immer ein Stück verrückter. Aus einem nachkriegszeitigen, gesellschaftlichen Vakuum heraus gründeten sich in Italien die Futuristen, eine moderne Künstlerbewegung mit politischen Attitüden. Mit viel Zündstoff besetzte der Futurist und Dichter Gabriele D’Annunzio samt Gefolge 1919 Fiume, das heutige Rijeka an der Küste Kroatiens, und gründete die „Italienische Regentschaft am Quarnero“. Zwar von keinem Staat der Welt anerkannt und ein Jahr später vom Freistaat Fiume abgelöst, war für kurze Zeit Unmögliches möglich.
Paris der 20er-Jahre am Balkan
Die Geschichte erzählt von Cherubino, einem humanistischen Pfleger in einem norditalienischen Irrenhaus, wie die Nervenheilanstalten zur Jahrhundertwende bezeichnet wurden, und so auch in Stermanns Roman benannt werden. Cherubino bekommt vom Direktor die Order, mit Zino, einem friedlichen Nervenkranken, nach Fiume zu gehen. Die Idee war, eine Auswahl an Nervenkranken, mit einer sehr ursprünglichen Persönlichkeitsstruktur, zur Neugründung des Kleinstaates Fiume mit Minister-Posten auszustatten, so wie es im Manifest des Futurismus festgelegt wurde. In der Stüstenstadt erwartet sie überraschend das geballte Leben, als wären sie im Paris der verrückten 20er-Jahre gelandet. Im Gegensatz zur Metropole an der Seine wurde im kleinen Fiume jedoch der Futurismus – mit all seinen Konsequenzen – ausgerufen und umgesetzt. Die Hoffnung lag in einer neuen Idee „die so verwirrend und unverständlich war, aber ein Versprechen in sich trug, welches das verwirrende Neue eine Verbesserung sein würde im Vergleich mit ihrem bisherigen Leben“, so Cherubino im Zitat. In der Realität wirkte alles wie ein fantastischer Realismus: Das Irrenhaus sollte zum Zirkus werden, alles muss der Modernisierung unterliegen, dazu wird das Leben als (tägliches) Fest zelebriert, da hätte selbst Ernest Hemingway in seinen wilden Pariser Jahren gestaunt. Denn politisch installierte man ein Ministerium für Wagemut, eines für Handstreiche, für Zukunftswesen für Windhunde oder den Salto Mortale. Nachdem die anderen Krankenpfleger sich zurück nach Italien begeben haben, bleiben Cherubino und Letizia dennoch und lassen die liebgewonnenen Nervenkranken nicht im Stich – ein nicht ungefährliches Unterfangen.
Politische Achterbahn
Immer wieder ist es interessant zu sehen, dass TV-Comedian Dirk Stermann eine sehr ernsthafte literarische Ader hat, wo der Schmäh jetzt eher durch die Darstellung absurder Realitäten herauskommt, aber im Grunde im Hintergrund bleibt. Der Autor schildert in „Republik der Irren“ den Aufbau eines komplett neuen Staates, verbunden mit dem Mut, der damals aufgebracht wurde, um groß Erdachtes umzusetzen. Natürlich mit allem Wahnsinn und Zuversicht zugleich. Dazu schiebt sich nationales Denken in den Vordergrund, Nietzsches Übermensch ist spürbar und die inszenierten Feste und Reden erinnern an Leni Riefenstahl-Dokus. Fazit: Ein Roman mit Ecken, Kanten und Tiefgang, eine Achterbahnfahrt in die Vergangenheit, die das kolossale Scheitern der Bewegung impliziert.
Martin G. Wanko
Dirk Stermann: „Republik der Irren“, 306 Seiten, Rowohlt Hundert Augen