Landesgerichtspräsident sieht Gerichte an der Grenze des Machbaren

Aktenberge stapeln sich, Verfahren werden länger: Gerichte kämpfen mit Personalnot.
Wien Die Justiz befindet sich im Notfallmodus. Einige Landes- und Bezirksgerichte müssen ihren Betrieb einschränken, da es ihnen an Kanzleipersonal fehlt. Können nicht alle Aufgaben erfüllt werden, so müssen sie Prioritäten setzen und kleinere Angelegenheiten von Erbschaftssachen bis Besitzstörungsklagen warten lassen, steht in einem Notfallplan von Österreichs Gerichtsvorstehern, von dem die „Kleine Zeitung“ berichtete. Den VN bestätigt Heinz Bilstein, der Präsident des Vorarlberger Landesgerichts: „Die Bezirksgerichte kommen an die Grenze des Machbaren.“
“Stiller Tod” der Justiz
Bereits Anfang des Monats warf Justizminister Clemens Jabloner den früheren Regierungen vor, die Justiz budgetär vernachlässigt zu haben: “Ich würde sagen, die Justiz stirbt einen stillen Tod.” Das sei zwar ein drastisches Bild, meint der Vorarlberger Landesgerichtspräsident zu dieser Aussage Jabloners. Tatsache sei aber, dass es Einschränkungen im alltäglichen Gerichtsbetrieb gebe. „Im nichtrichterlichen Bereich, also bei den Vertragsbediensteten und Beamten, wurde in den vergangenen Jahren gewaltig eingespart“, kritisiert Bildstein. Das wirke sich negativ auf Serviceleistungen aus und ebenso auf die Verfahrenslänge. Alle Bereiche seien betroffen, von normalen Zivilprozessen, Erbschaftsverfahren oder üblichen Strafsachen. Dringende Haftangelegenheiten seien natürlich ausgenommen.
Die Gerichtsvorsteher halten in ihrem Notfallplan außerdem fest, dass auch jene Verfahren nicht betroffen sein dürften, deren Einstellung oder Verzögerung besonders schmerzhaft für die Rechtssuchenden wären. Das betrifft zum Beispiel den Gewaltschutz, Pflegschaftsfälle oder die Obsorge und Unterhaltsachen.
400 Planstellen weniger
Im nichtrichterlichen Bereich, im sogenannten Fachdienst, haben die Gerichte laut Justizressort in den vergangenen vier Jahren 400 Planstellen verloren. Jabloner berichtete Anfang Juli von beklemmenden Aktenbergen, die sich in den Kanzleien stapeln. „Allein um den jetzigen Betrieb aufrechterhalten zu können, brauchen wir die Freigabe von Rücklagen von annähernd 70 Millionen Euro.“ Mehr Geld, als im Budget vorgesehen ist, wird es laut Übergangsregierung aber nicht geben. Änderungen seien nicht geplant, hielt ein Regierungssprecher fest. ÖVP und FPÖ sahen in ihrem Budget und Finanzrahmen eine Reduktion der Planstellen im Justizbereich vor. Von 2018 bis 2019 sollten sie um 122, von 2018 bis 2022 um insgesamt 350 Posten schrumpfen.
Längere Verfahren
„Uns fehlen heute schon die Leute“, sagt der Präsident des Landesgerichts. Die Planstellen würden aber einfach gekürzt oder nicht nachbesetzt. „Weil es immer weniger Kanzleikräfte gibt, haben diese immer mehr zu erledigen. Die Verfahren ziehen sich teilweise ums Doppelte in die Länge. Das sind sechs bis acht Wochen“, erklärt Bildstein. Dass es von einer bis zur nächsten Verhandlung länger dauere, liege nicht an den Richtern, sondern daran, dass die Protokolle fehlen, weil die immer schwächer besetzten Kanzleien mit dem Schreiben nicht nachkommen. Auch die Serviceleistungen würden leiden. Am Informationsschalter im Landesgericht sei etwa nur noch eine Person beschäftigt. Sei diese krank, im Urlaub oder einfach nur auf Mittagspause, bleibe der Schalter geschlossen. „Ich schaffe es nicht, da eine zweite Person reinzubringen, weil ich nicht weiß woher“, berichtet Bildstein. Entsprechende Anfragen seien bisher im Sand verlaufen. „Es ist ein Kampf gegen Windmühlen.“
Zumindest seien noch alle 61 Richterposten in Vorarlberg besetzt. Ab 2020 werde es dann knapper. Es rolle eine Pensionierungswelle auf die Gerichte zu. Da derzeit aber relativ viele seiner Kolleginnen in Karenz seien und zurückkehren könnten, hofft Bildstein, dass es sich, anders als beim Kanzleipersonal, zumindest bei den Richtern ausgehen wird. „Die Angst ist aber da, dass es auch hier eng wird.“