Volle Anerkennung für die Karenz

Zwei Jahre Karenz bedeuten bei Geburten ab 1. August auch zwei angerechnete Jahre bei Gehaltsvorrückungen und Kündigungsfristen.
Wien Selten waren sich die Parlamentsparteien so einig. Sie alle haben im Juli für die volle Anrechnung von Karenzzeiten bei Gehaltsvorrückungen, Kündigungsfristen oder Urlaubsanspruch gestimmt. Jetzt gilt die neue Berechnung und zwar für alle Geburten ab dem 1. August. „Es ist ein Meilenstein in der Sozial- und Frauenpolitik, der Eltern nur Vorteile bringt. Vor allem bringt es aber Frauen, die meist die Kinderbetreuung übernehmen, mehr Gerechtigkeit“, erklärt die Vorarlberger Arbeiterkammervizepräsidentin Manuela Auer. Gerade in Vorarlberg, wo die Lohnschere besonders weit offen sei, sei dies ein wichtiger Schritt.
Bisher galt folgendes Gesetz: Eltern konnten zwar zwei Jahre pro Kind in Karenz gehen. Davon wurden aber maximal zehn Monate der ersten Karenz für Gehaltsvorrückungen und Co. angerechnet. Allerdings gab es je nach Branche unterschiedliche Regeln. Laut ÖVP sahen im Oktober 2018 rund 30 Prozent der 859 Kollektivverträge eine volle Anrechnung der Karenzzeiten vor. Ziel war laut Volkspartei und Freiheitliche aber eine lückenlose Umsetzung. Würden es die Sozialpartner nicht bis Anfang 2019 schaffen, folge ein Gesetz, lautete die Ankündigung der damaligen Bundesregierung. Ein paar Monate später kam alles anders. Zwar stieg die Zahl der Kollektivverträge, die eine volle Anrechnung der Karenzzeiten vorsahen, um einige Dutzend, 859 waren es aber noch lange nicht. ÖVP und FPÖ erklärten daraufhin, den Sozialpartnern doch mehr Zeit geben und die Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst abwarten zu wollen.
In der Zwischenzeit zerbrach die Koalition. Anfang Juli beschloss der Nationalrat dann die volle Anrechnung der Karenzzeiten. Gelten soll das für alle Geburten ab 1. August. Eine rückwirkende Regel wäre laut ÖVP nicht finanzierbar gewesen. Dennoch reagiert die Wirtschaftskammer mit Unverständnis. Zum einen hätten die Kollektivvertragspartner die Anrechnung fast lückenlos umgesetzt, erklärt Rolf Gleißner von der sozialpolitischen Abteilung. Zum anderen widerspreche diese unverhältnismäßige Anrechnung dem Gedanken von Vorrückungen in Kollektivverträgen, „weil hier der Produktivitätsgewinn durch betriebliche Erfahrung vergütet wird“.
Doch welche Folgen hat die volle Anrechnung? „Wird die Karenz voll angerechnet, steigt das Lebenseinkommen um rund drei Prozent“, rechnet AK-Vizepräsidentin Auer vor. Die Gewerkschaft der Privatangestellten nennt folgendes Beispiel: Für eine 35-jährige Verkäuferin, die bereits 15 Jahre arbeite, bedeute das um 5614 Euro mehr Lebenseinkommen, wenn sie mit einem Kind zwei Jahre in Karenz war. Wenn sie zwei Kinder habe und vier Jahre in Karenz war, seien es bei voller Anrechnung um 11.788 Euro mehr. Zudem steige mit steigenden Dienstjahren auch der Kündigungsschutz. Nach 16 Jahren betrage dieser etwa vier Monate. Würden die vier Karenzjahre nicht angerechnet, wären es nur drei. Ebenso erlange eine Angestellte durch die volle Anrechnung früher Anspruch auf die sechste Urlaubswoche. VN-ebi
„Wird die Karenz voll angerechnet, steigt das Lebenseinkommen um rund drei Prozent.“
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