Warum Schweden am Sonderweg festhält

Stockholm sieht sich auf dem richtigen Weg. Andere Länder sind misstrauisch.
Stockholm Fast alle Länder in Europa setzen im Kampf gegen die Coronapandemie auf harte Maßnahmen. Grenzen wurden geschlossen, Geschäfte dicht gemacht, Kinder dürfen nicht mehr in die Schule gehen. Erst langsam und in kleinen Schritten kehrt das öffentliche Leben wieder zurück. Nicht so in Schweden. Dort setzt die Regierung auf Empfehlungen. Während Städte anderswo wie ausgestorben wirken, blieben die Cafés und Bars in Stockholm gut gefüllt. Auch in den Kindergärten und Schulen bis zur neunten Klasse herrscht reger Betrieb. Die Menschen sind lediglich dazu angehalten, von zu Hause aus zu arbeiten, Abstand zu halten und Besuche bei älteren Verwandten zu unterlassen.
Über 2000 Todesopfer
Stockholm sieht sich auf dem richtigen Weg. In der Pressekonferenz der staatlichen Gesundheitsbehörde sprach die Mikrobiologin Karin Tegmark Wisell vor Kurzem von einem Abwärtstrend bei der Entwicklung der Covid19-Erkrankungen. Das 10,2-Millionen-Einwohner-Land zählt seit Beginn der Pandemie über 16.700 Infizierte, wie Zahlen der Johns Hopkins Universität vom Donnerstag zeigen. Mehr als 2000 Menschen sind bereits verstorben. Im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarländern ist dieser Wert hoch. In Dänemark (5,8 Millionen Einwohner) haben sich 8200 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 380 sind verstorben. In Norwegen mit seinen rund 5,4 Millionen Einwohnern sind es 7300 Infizierte und 180 Verstorbene. Österreich (8,9 Millionen Einwohner) zählt 15.000 Infizierte und 520 Todesopfer. Der Vergleich von Länderzahlen ist aber nicht immer zielführend, da die Zahl der Tests unterschiedlich hoch ist.
Schwedens Sonderweg hat vor allem mit Anders Tegnell zu tun. Der Chef-Epidemiologe spricht immer wieder von Herdenimmunität. Das bedeutet, dass das Virus gestoppt wird, da immer mehr Menschen dagegen immun sind. Vom Sonderweg will er nicht abgehen. “Wir glauben, wir erreichen mit Freiwilligkeit genauso viel wie andere Länder mit Restriktionen.” Allerdings hat der Epidemiologe auch schon Fehler eingeräumt, etwa in den Altersheimen. Knapp ein Drittel der schwedischen Todesfälle wegen Corona waren Bewohner dieser Institutionen. Außerdem soll künftig mehr getestet werden.
Etwa 2000 Wissenschaftler forderten die Regierung bereits im März zum Umdenken auf. Es brauche konsequente Maßnahmen, die sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsbehörde WHO orientieren, schreiben sie in einem gemeinsamen Brief.
„Schwedens Weg muss nicht falsch sein“, meint wiederum der deutsche Soziologe Claus Wendt von der Universität Siegen. Er hat die Hintergründe der Strategie genauer analysiert. Das Land habe im Kampf gegen die Pandemie gute Voraussetzungen, so ist die Bevölkerung allgemein bei guter Gesundheit, Armut und soziale Ungleichheit fallen gering aus. Dazu kommt eine gute epidemiologische Datenlage. „Wenn man wissen will, wie sich bestimmte Krankheiten im Verlauf eines Lebens entwickeln und welche Einflussfaktoren hierfür von Bedeutung sind, ist man gut beraten, auf Schweden mit seinen Registerdaten zu blicken.“
Mehrheit der Österreicher gegen schwedisches Modell
In Österreich war der Sonderweg kürzlich Thema im Parlament. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl sah das dortige Modell als Zeichen dafür, dass die harten Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung nicht alternativlos sind. So sei auch in Schweden nicht das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer verwies daraufhin auf die fast drei Mal so hohe Anzahl an Todesopfern in dem skandinavischen Land. Eine aktuelle Market-Umfrage zeigt auch, dass eine Mehrheit der Österreicher nicht auf den schwedischen Sonderweg einschwenken will. Auf die entsprechende Frage antworteten 63 Prozent mit Nein.