Warum Trump auf Eskalation setzt

US-Präsident droht mit Militäreinsatz gegen die Protestierenden und nutzt Rassismus als Wahltaktik.
washington In den Vereinigten Staaten überschlagen sich die Ereignisse. Seit Tagen protestieren die Menschen in Washington, New York und anderen Metropolen gegen Polizeigewalt, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Überschattet wurden die Demonstrationen von schweren Ausschreitungen. Medienberichten zufolge sind in Chicago zwei Menschen gestorben. Über die genauen Umstände ist nichts bekannt. In einigen Städten wurden Polizisten verletzt.
Auslöser der Proteste ist der Tod des 46-jährigen Afroamerikaners George Floyd. Er war nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis verstorben. US-Präsident Donald Trump rief Gouverneure und Bürgermeister mehrfach dazu auf, härter gegen Randalierer unter den Demonstranten durchzugreifen. Zu Wochenbeginn kündigte er in Washington an, notfalls auch militärische Gewalt einzusetzen. „Ich bin Ihr Präsident für Recht und Ordnung“, sagte Trump an die Adresse der Amerikaner gerichtet. Nach seiner Ansprache posierte er mit einer Bibel vor der Kirche St. Johns für Pressefotos. Damit er überhaupt dorthin gehen konnte, drängten Polizisten Demonstranten zurück und setzten auch Tränengas ein.
Solidarität mit Demonstranten
Die Gouverneure wiesen das Ansinnen Trumps, das Militär einzusetzen, vehement zurück. Die Anführer der Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, kritisierten, der Republikaner heize Zwietracht und Gewalt weiter an. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es: “In einer Zeit, in der unser Land nach Einigung ruft, zerreißt es dieser Präsident in Stücke.” Auch die Polizei solidarisiert sich zunehmend mit den Demonstranten. In Houston war Polizeichef Art Acevedo gemeinsam mit den Demonstranten niedergekniet, wie CNN berichtete. In der Gemeinde Flint Township in Michigan legte Sheriff Chris Swanson Helm und Schlagstock ab und schloss sich den Protestierenden an. Im US-Bundesstaat Kentucky beteten Polizisten und Demonstranten gemeinsam.
Bei Polizeieinsatz erstickt
Anwälte der Familie von George Floyd legten unterdessen einen Autopsiebericht vor, der den vorläufigen Erkenntnissen der Behörden widerspricht. Unabhängige Gerichtsmediziner seien zu der Erkenntnis gelangt, dass Floyd bei dem Polizeieinsatz erstickt sei, teilte Anwalt Ben Crump mit. Der offizielle Gerichtsmediziner hatte zuvor auf Grundlage vorläufiger Erkenntnisse Vorerkrankungen für den Tod mitverantwortlich gemacht. Crump sagte: “George starb, weil er Luft zum Atmen brauchte.” Ein Polizist hatte Floyd vergangene Woche fast neun Minuten sein Knie in den Nacken gedrückt. Auf die Bitten, ihn atmen zu lassen, reagierte der weiße Beamte nicht. Die vier beteiligten Polizisten wurden entlassen. Der mutmaßliche Täter wird wegen Mordes angeklagt und sitzt nun in Untersuchungshaft.
Der Politikwissenschaftler Heinz Gärtner (unter anderem Universität Wien, International Institute for Peace) sieht die USA in einer dreifachen Krise. Zur Corona-Pandemie und der damit verbundenen Wirtschaftskrise, unter der Bevölkerungsgruppen wie Afroamerikaner und Personen mit lateinamerikanischer Herkunft ohnehin besonders stark leiden, kommen die aktuellen Proteste dazu. „Zugrunde liegt eine Menschenrechtsfrage und ein strukturelles Problem, das die Schwäche der amerikanischen Gesellschaft deutlich aufzeigt“, sagt Gärtner. Regelmäßig käme es zu brutaler Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, und zwar schon seit den 60er-Jahren. „Viele Fälle werden nicht einmal bekannt.“
Basis im Fokus
Anstatt nun versöhnend einzugreifen, polarisiere Trump immer weiter, erläutert der Politologe. “Wie schon zuvor bei der Pandemie sucht er nach Sündenböcken, verhält sich widersprüchlich und zeigt keinerlei Führungsstärke. Das merken auch die Gouverneure. Sie geben ihm zu verstehen, dass er nicht mehr auftreten soll.“
Trump verhält sich widersprüchlich und zeigt keinerlei Führungsstärke.
Heinz Gärtner, USA-Experte
Trumps drastische Aussagen haben Gärtner zufolge mit dem laufenden Präsidentschaftswahlkampf zu tun. Eigentlich hatte der Amtsinhaber mit guten Wirtschaftsdaten, einer harten Anti-Einwanderungspolitik und einem eskalierenden Iran-Kurs gegen seinen demokratischen Widersacher Joe Biden punkten wollen. Doch nun kamen ihm die aktuellen Krisen dazwischen. „Ich glaube, dass Trump nun zumindest seine Basis bedienen will. Die angedrohte Gewaltanwendung, der versteckte Rassismus – damit kann er diese Wähler mobilisieren.”