Abstandsregeln bald bundesweit nicht mehr gestraft

Politik / 28.07.2020 • 10:55 Uhr
Abstandsregeln bald bundesweit nicht mehr gestraft
APA

Verordnungsteil wird in nächsten Tagen außer Kraft gesetzt – Anschober kündigt Reform des Gesundheitsministeriums und des Covid-Maßnahmengesetzes an.

Wien Nachdem der Verfassungsgerichtshof die Corona-Ausgangsbeschränkungen für gesetzeswidrig erklärt hat, wird das Gesundheitsministerium in den nächsten Tagen auch die Abstandsregeln der Verordnung außer Kraft setzen. Das heißt, es wird dann österreichweit nicht mehr gestraft. Zudem kündigte Minister Rudolf Anschober (Grüne) nach dem Verordnungschaos der letzten Wochen eine Reform seines Ressorts an.

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Was das Strafen der formal noch gültigen, von Juristen aber ebenfalls angezweifelten Abstands- und Maskenregeln betrifft, herrscht derzeit ein Fleckerlteppich in Österreich. Denn in einigen Bundesländern hat die Polizei nach der VfGH-Entscheidung zu den Ausgangbeschränkungen auch bei diesem Punkt die Durchsetzung eingestellt. In den nächsten Tagen wird Anschober nun auch den Teil der Verordnung zu den Abstandsregeln außer Kraft setzen, ließ er in einer Pressekonferenz am Dienstag wissen. Damit komme es dann zu keinem Strafvollzug mehr. Er bitte die Bevölkerung aber dennoch dringend, weiterhin Abstand zu halten.

Noch laufende Verfahren im Bereich der Ausgangsverbote würden natürlich eingestellt. Das Thema einer nachträglichen Straferlassung sei hochsensibel, werde aber geprüft, meinte Anschober.

Man habe im Zusammenhang mit Corona an die 100 “Rechtsschritte”, also Erlässe, Verordnungen und Gesetze, unter enormem Zeitdruck umsetzen müssen, erklärte Anschober. Der Großteil habe auch gut gehalten – bis auf den “Paukenschlag” des VfGH, der zwei Verordnungen als gesetzeswidrig beanstandete. Das Höchstgericht bezog sich dabei auf Formulierungen im Covid-Maßnahmengesetz, weshalb etwa generelle Ausgangsverbote davon nicht gedeckt waren. Man müsse dies nun möglichst schnell reparieren, sagte Anschober.

Man wolle auf das VfGH-Urteil umfassend reagieren und das Covid-Maßnahmengesetz überarbeiten. Ziel sei es, dass die Novelle im September im Nationalrat behandelt wird, auch eine Begutachtung soll es geben. “Höchst reformbedürftig” ist für Anschober auch das Epidemiegesetz, das soll kommendes Jahr angegangen werden. “Das Jahr 2021 wird das Jahr eines neuen Epidemiegesetzes in Österreich werden.”

Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger kündigte bei einer anderen Pressekonferenz angesichts des jüngsten Spruchs der Verfassungsrichter Novellierungen an, “damit es die notwendigen rechtlichen Grundlagen gibt”. In den Ministerien werde nun geprüft, ob Novellierungen nötig sind. “Sollte es sie brauchen, sind wir jederzeit bereit, das umzusetzen.”

Überarbeitet wird jedenfalls auch die zuletzt scharf kritisierte Einreiseverordnung, deren Kundmachung chaotisch war und deren Ausgestaltung von Juristen zerpflückt wurde. Kurzfristig sollen die formalen Fehler berichtigt werden, erklärte Anschober, in einem zweiten Schritt soll sie “auf völlig neue Beine gestellt” werden, um sie lesbar zu machen, wie Anschober ankündigte.

Anschober wird auch eine Weisung erteilen, um zu garantieren, dass der Verfassungsdienst künftig vor der Veröffentlichung eingebunden wird – bei der Einreiseverordnung war dies ja nicht der Fall. Allfällige Rivalitäten und Unstimmigkeiten mit dem Verfassungsdienst im Kanzleramt stellte Anschober in Abrede. Es gebe eine korrekte und gute Zusammenarbeit, der Fehler bei der Einreiseverordnung sei im Gesundheitsministerium passiert, weil man nicht auf den Verfassungsdienst zur Endabstimmung zugekommen sei.

“Das darf nicht passieren und das ist einfach schlechte Arbeit gewesen, Punkt”, gestand der Minister ein. Es habe eine Reihe von Fehlern gegeben und hier müsse sich etwas ändern. “Nirgendwo auf der Welt schreibt der Minister selbst Verordnungen”, aber er trage natürlich die Letztverantwortung. Daher werde man nun eine Strukturveränderung im Haus angehen und das Ministerium “neu aufstellen”. Es werde eine umfassende Organisationsreform geben und man werde sich krisensicherer aufstellen, im Herbst soll der Prozess abgeschlossen sein. So soll etwa auch das juristische Personal im Gesundheitsministerium um fünf bis sechs “wirklich spezialisierte” Mitarbeiter aufgestockt werden.

Der Minister stellte sich freilich auch demonstrativ hinter sein Ressort und lobte die Mitarbeiter, die durch ihren “enormen Einsatz” eine schwierige Ausgangssituation kompensiert hätten. Immerhin befinde sich das Gesundheitsministerium seit einem halben Jahr im Ausnahmezustand – darauf sei man nicht vorbereitet gewesen, zusätzlich sei das Haus durch eine Organisationsreform seiner Vorgängerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) geschwächt worden, kritisierte Anschober.

Anschober verteidigt Vorgangsweise in St. Wolfgang

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat bei dieser Pressekonferenz die Vorgangsweise der Behörden beim Corona-Cluster in St. Wolfgang verteidigt. Das Kontaktpersonenmanagement habe funktioniert, deshalb sieht der Minister auch kein Problem darin, dass es keine Hotelschließungen gibt.

Die Tests in St. Wolfgang sind weitgehend abgeschlossen, 62 Fälle sind bestätigt, über 40 davon seien Jugendliche, sagte Daniela Schmid, Infektionsepidemiologin von der AGES. Das Kontaktpersonenmanagement sei “in hoher Geschwindigkeit” gestartet worden. Ursprung des Clusters ist ein Nachtlokal, in dem Praktikanten gefeiert haben – wahrscheinlich nicht nur einmal, sondern öfter, erklärte Schmid. Abgesehen von dieser Gruppe habe es nur einzelne Folgefälle gegeben.

In den Hotels, in denen die Praktikanten gearbeitet haben, sei das gesamte Personal getestet worden. Die Betroffenen selbst seien entweder in Oberösterreich in Isolation oder mit Maske nach Hause in andere Bundesländer gereist und seien jetzt in Heimisolation. Die Entwicklung werde freilich weiter intensiv beobachtet.

Beim Freikirchen-Cluster in Oberösterreich vor einigen Wochen war es zu umfassenden Schulschließungen gekommen, die Hotels in St. Wolfgang bleiben aber weiterhin offen. Entscheidend für die Maßnahmen sei, dass das Kontaktpersonenmanagement funktioniere, sagte Anschober. In St. Wolfgang wisse man, wer die Betroffenen sind und könne anders vorgehen. Das Land Oberösterreich sei hier “nicht mit zweierlei Maß vorgegangen”, befand Anschober.

Auch Schmid erklärte, in St. Wolfgang werde das gesamte Hotelpersonal auch weiter beobachtet, das minimiere das Risiko. Zur Frage, ob man denn nicht auch gesamte Schulen wiederholt testen könnte, meinte Schmid, dies möge beispielsweise eine Strategie für den Herbst sein. Das Prozedere werde in der Ferienzeit erarbeitet.

Dass immer mehr junge Menschen vom Virus betroffen seien, führte Schmid auf altersspezifisches Risikoverhalten zurück – sprich: die Jungen sind eben in den Sommermonaten vermehrt am Feiern. Das Risikobewusstsein habe sich in Teilen der Bevölkerung verschlechtert, merkte Anschober an.

Die Forderung von Lehrergewerkschafter Paul Kimberger nach einem Mund-Nasen-Schutz für Schüler und Lehrer ab Herbst kommt für Anschober zu früh. Im Bildungsministerium werde bereits intensiv an verschiedenen Szenarien für den Schulbeginn im September gearbeitet, versicherte Anschober.

Keine guten Nachrichten hatte Anschober für die Clubs. Diesen konnte der Minister noch immer keine Perspektive zum Aufsperren bieten. Man evaluiere die Situation alle zwei Wochen. Dass es diese Betriebe wirtschaftlich extrem treffe und sich die Regierung um sie kümmern müsse, gestand Anschober ein. Das gelte auch für den Städtetourismus. Es werde entsprechende Gespräche auch unter Einbindung von Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) geben.

Was Corona-Tests an deutschen Grenzen angeht, sei man in Gesprächen mit dem deutschen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – vielleicht schaffe man da eine gemeinsame Vorgangsweise. Gratis Tests für Urlaubsrückkehrer wird es aber in Österreich wohl nicht spielen. Es gebe dazu keine Planungen, sagte Anschober auf eine Journalistenfrage.

Österreichweit ist die Zahl der neu mit dem Coronavirus infizierten Personen in den vergangenen 24 Stunden wieder dreistellig gewesen. Mit Stand Vormittag waren 119 Personen in Österreich betroffen. Die Verteilung über das Land werde gleichmäßiger, sagte Anschober. Man habe mit verstärkten regionalen Clusterbildungen gerechnet, wichtig sei es nun, diese in Schach zu halten, um eine zweite Welle zu verhindern.

Deshalb teste man in Österreich “so viel wie nie zuvor”. Er appelliere weiterhin an alle Tourismusbetriebe, das Test-Angebot für die Mitarbeiter anzunehmen. Positiv hervorgehoben wurden von Anschober die Screening-Testungen in Risikobereichen. Im Juli habe es in Schlachthöfen 2.037 Testungen gegeben, davon 33 positive, in 485 Testungen und kein einziges positives Ergebnis. APA