Das aufgeschnürte Königreich
Der „Economist“, dessen Überschriften immer wieder mit cleveren Wortspielen aufwarten, lieferte auf seinem Cover kürzlich eine kluge Pointe: „The Untied Kingdom“ statt „United Kingdom: Das „aufgeschnürte“ statt vereinigte Königreich, und dies über der Zeichnung einer fadenscheinig gewordenen britischen Nationalflagge, durch einen allerletzten Bindfaden gerade noch notdürftig zusammengehalten. Es ist auffällig, wie viele dieser Union-Jack-Nationalflaggen jetzt in England überall wehen – unter anderem im sündteuren, neuen Briefing-Room in 10 Downing Street. In Schottland ist der Union Jack kaum noch zu sehen. Dort weht die blaue schottische Flagge mit dem weißen Andreaskreuz – und in England ist jetzt immer mehr die englische Flagge zu sehen, weiß mit rotem Kreuz, als Manifestation eines nunmehr englischen, nicht mehr britischen Nationalismus: vor Privathäusern, aber auch auf Autokennzeichen. Brexit hat die Nation gespalten: Die mehrheitlich pro-europäischen Schotten klagen, sie seien von den Engländern gegen ihren Willen aus der EU herausgerissen worden.
Kürzlich war hier „Super-Thursday” – eine bedeutende Kombination von englischen Lokalwahlen sowie walisischen und insbesondere schottischen Parlamentswahlen. Die schottischen Nationalisten (SNP) hatten sich von diesem Urnengang eine absolute Mehrheit von 65 Sitzen im autonomen, 129 Sitze zählenden schottischen Parlament erhofft – und damit ein eindeutiges Mandat für ein neues Unabhängkeitsreferendum. Doch diese Rechnung ging um einen Sitz nicht auf.
Doch die SNP-Chefin Nicola Sturgeon, deren Partei Schottland nun weiter regieren wird, hat gemeinsam mit den ebenfalls sezessionistischen Grünen eine klare Mehrheit. Mit dieser wird sie ihre Kampagne für ein zweites Unabhängkeitsreferendum weiterführen – obwohl laut neuesten Umfragen nur noch knapp die Hälfte der Schotten für die Loslösung vom Vereinigten Königreich optiert und sich Premier Johnson kategorisch gegen ein neues Referendum ausgesprochen hat. Stattdessen startet er eine Charme-Offensive zur Rettung des Vereinigten Königreichs, die er mit Milliarden für die Schotten und dem Versprechen von Spitalsbetten in England schmackhaft machen will. Aber Sturgeon will mit dem Kopf durch die Wand. Ein langwieriger Stellungskrieg zwischen Edinburgh und London und am Ende wohl eine harte Konfrontation sind vorgezeichnet im „Untied Kingdom“.
„Eine harte Konfrontation zwischen London und Edinburgh ist zu erwarten.“
Charles E.
Ritterband
charles.ritterband@vn.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).