Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Was dem Pöbel wichtig wär’

Politik / 11.06.2021 • 21:50 Uhr

Gestatten, liebe Obrigkeit: die Zeitungsseiten und Sendeminuten sind seit Monaten gefüllt mit äußerst unappetitlichen Chatnachrichten – und ja, es mag einem vor allem in der ÖVP-Zentrale lästig und übrig vorkommen. Übrigens ist es lästig für alle, auch und vor allem für den Pöbel. Denn im ersten Moment lassen einen die letzten Monate in berechtigter Fassungslosigkeit zurück, ob das nun wirklich der ,neue Stil’ ist. Weil wenn ja, dann ähnelt er dem alten Stil erheblich. Nur dass noch eine ordentliche Portion Naivität mit der Verschriftlichung der eigenen Überheblichkeit dazugekommen ist. Was in der Aufklärung wiederum unglaublich nützlich ist.


Erst in weiterer Folge dämmert die Frage, was man alles hätte weiterbringen können in diesem Land, wenn nicht etwa der frivole Umbau der Staatsholding in ein maßgeschneidertes Prunkschloss eines Fürstenknechtes (“Schmidt AG”) uns länger paralysiert hätte, als das durch die Pandemie ohnedies vorgegeben war. Vor allem, weil Schmid erst gar nicht, dann viel zu spät und schließlich nur widerwillig als letzte Möglichkeit zurückziehen wollte.
Was hätte alles besprochen, diskutiert, geschrieben, gesendet werden können, wenn es nicht um die Aufarbeitung des Passierten, sondern um die Planung der Zukunft gegangen wäre?


Verstehen Sie mich nicht falsch: es tut Not, sich mit all dem zu beschäftigen. Und die Aufarbeitung wird noch länger eine Rolle spielen, auch über das Ende des U-Ausschusses hinaus. Einsicht ist bislang nicht bis gar nicht vorhanden, wie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verzögerte Aktenlieferungen durch den Finanzminister Gernot Blümel mehr als dokumentieren.
Bisher durfte in der türkisen Kommunikation kein Fehler zugegeben werden, das Wort existierte im Vor-der-Kamera-Wortschatz der Regierungsmitglieder nicht. Aktuell ist das höchste der Gefühle: “Wenn ein anderer Eindruck entstanden sein sollte, dann tut mir das leid und dann entschuldige ich mich deutlich.” Nur dann, genau. So drückte das Blümel in einem ZIB2-Interview wörtlich aus.
Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine Nacheiferer würden so viel mehr Souveränität zurückgewinnen, wenn nicht Loyalität und Folgschaft das oberste (und manchmal scheinbar alleinige) Gebot des eingeschworenen JVP-Zirkels blieben. Wenn Erkenntnisgewinn und Dazulernen zu einer erstrebenswerten Tugend erhoben würden, wenn Ecken und Kanten zur Vielfalt beitragen und nicht alles hinter eine eintönig-perfekt-türkise Fassade muss.


Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis man absehen kann, ob wir es in der Nach-Pandemie-Zeit mit einer stabilen politischen Lage zu tun haben. Unterdessen lässt die ÖVP weiterhin Herrn Hanger täglich als Stimme seines Herrn ausrücken. Er setzt im Tagesrhythmus die der großen Volkspartei absolut unwürdigen Angriffe auf die Justiz fort. Die Grünen empören sich, sind aber in einer Hassliebe gefangen: nach dem prächtigen Echauffieren stimmen sie, wenn’s drauf ankommt, folgsam mit dem Koalitionspartner. Dazwischen müssen sie die Justiz verteidigen – oder besser neu organisieren, wenn man sich den dortigen bislang schamlosen Politeinfluss ansieht.


Das gilt nicht nur für die Justiz, sondern für weite Teile der Republik. Mit der hoffentlich weiterhin ausklingenden Pandemie samt veritabler Wirtschaftskrise in den Knochen muss dieses Land nach vorne gedacht werden. Ob das mit bestehender Aufstellung noch möglich ist? Nicht nur eingeschworene Schwarze in den Ländern geraten darob immer öfter in Zweifel.