Obskure Listen
Joachim Aigner und seine Leute betonen, „ausnahmslos keine Politikerinnen und Politiker“ zu sein. Elke Kahr will nichts mit der Forderung zu tun haben, Konzerne zu enteignen. Darüber kann man sich wundern: Aigner hat sich in den vergangenen Wochen mit Gleichgesinnten politisch betätigt. Und zwar so wirkungsvoll, dass sie unter der Listenbezeichnung „MFG“ den Einzug in den oberösterreichischen Landtag geschafft haben. Wobei: Was machen sie dort, wenn sie keine Politiker sein wollen?
„Politisch nehmen sie sich selbst nicht ernst, sagen jedoch furchtbar viel aus über den Zustand des Politischen.“
Elke Kahr hat beste Chancen, Bürgermeisterin von Graz zu werden. Bei der Gemeinderatswahl hat sie die Kommunisten mit fast 29 Prozent auf Platz eins geführt. Auch hier gibt es ein Rätsel: Wie wird sie ihre Aufgabe anlegen, wenn sie sich vom Programm ihrer Partei distanziert? MFG Oberösterreich und KPÖ Graz haben eine Gemeinsamkeit: Es handelt sich um obskure Listen. Politisch nehmen sie sich selbst nicht ernst, sagen jedoch furchtbar viel aus über den Zustand des Politischen.
Aigner und Co. bilden eine Protestpartei: Sie geben sich wegen der Corona-Maßnahmen nicht nur um demokratische Rechte besorgt (wie im Übrigen auch Regierende wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel), sondern bestärken Einzelne darin, sich ausschließlich im Rahmen ihrer Selbstbestimmung gegen eine Impfung auszusprechen. Das greift jedoch zu kurz, ist purer Egoismus: Es geht auch um Mitmenschen.
Die Weigerung der Aktivisten, als Politiker wahrgenommen zu werden, ist befremdlich: Politiker sein heißt nicht nur eine gut bezahlte Funktion zum Beispiel auf Landesebene zu bekleiden. Damit geht im Idealfall auch die Bereitschaft einher, für Maßnahmen zu werben, bis sie von einer Mehrheit beschlossen werden. Außerparlamentarische Opposition wird das kaum zusammenbringen.
Umso bemerkenswerter ist es summa summarum, dass MFG trotzdem auf 6,2 Prozent gekommen ist: Das ist ein Signal dafür, dass Rechte und Pflichten des Staates und der Bürger wieder einmal diskutiert gehören. Gerade in der Coronakrise und beim Impfen wird deutlich, dass eine gängige Vorstellung dazu fehlt. Außerdem ist der Wahlerfolg ein Hinweis darauf, wie schlecht das Image von Politikern ist. Aber das ist nichts Neues. Im jüngsten ORF-Sommergespräch erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass er ursprünglich etwas „Anständiges“ machen und nicht Politiker werden wollte.
Das ist eine Bankrotterklärung, genauso wie der KPÖ-Triumph in Graz: Elke Kahr ist schon lange Politikerin, als solche in Wirklichkeit aber Sozialarbeiterin für Hilfsbedürftige, auf die sie trifft. Das verdient Respekt. Einerseits. Anderseits müssen die Verhältnisse katastrophal sein, wenn nur noch das belohnt wird bei Wahlen: In einem funktionierenden Sozialstaat dürfte es keine almosengewährende Politiker geben (müssen), ist es Aufgabe von Politikern, bestmögliche Rahmenbedingungen für alle Menschen zu gewährleisten.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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