Ex-Rechnungshofpräsident: “Auch Berlusconi und Netanjahu blieben trotz anhängiger Verfahren Regierungschefs”

Politik / 07.10.2021 • 19:30 Uhr
Ex-Rechnungshofpräsident: "Auch Berlusconi und Netanjahu blieben trotz anhängiger Verfahren Regierungschefs"
Sebastian Kurz mit Benjamin Netanjahu im Jahr 2018: Auch der israelische Regierungschef blieb trotz anhängiger Verfahren im Amt.

Bewahrheiten sich die Vorwürfe gegen Kanzler Kurz, hätte das eine neue Dimension, erklärt Franz Fiedler. Er fordert strengere Gesetze.

Wien Auch in anderen Ländern hätten sich Regierungschefs trotz Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden schon an der Spitze gehalten, zum Beispiel Silvio Berlusconi in Italien, sagt der frühere Rechnungshofpräsident Franz Fiedler im VN-Gespräch. Bewahrheiten sich die Vorwürfe gegen Kanzler Sebastian Kurz hätte das für Österreich aber eine neue Dimension. Was bisher bekannt sei, zeige, dass es sich bei den Verdachtsmomenten nicht nur um reine Konstruktionen handle, erklärt Fiedler, der einst selbst als Staatsanwalt gearbeitet hat. Allerdings werde sich erst weisen, ob sich die Vorwürfe bewahrheiten. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Haben Sie eine Causa in diesem Ausmaß schon einmal erlebt?

Dass es schon früher im Zusammenhang mit der Vergabe von Inseraten seitens Regierungsmitgliedern bedenkliche Situationen gegeben hat, ist bekannt. Aber der konkrete Fall, dass mit Inseraten und mit damit in Zusammenhang stehenden Umfragen so Politik gemacht wird, dass innerhalb einer Partei ein neuer Obmann an die Spitze kommt und in letzter Konsequenz ein neuer Kanzler bestellt wird, hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Das sind jetzt aber nur Verdachtsmomente.

Sind der Kanzler und sein Umfeld noch handlungsfähig?

Wenn der Rückhalt in der eigenen Partei da ist und die Koalition bleibt, könnte ich mir vorstellen, dass es weitergehen kann. Das haben wir in anderen Ländern auch schon gesehen: Silvio Berlusconi hat in Italien jahrelang trotz anhängiger Verfahren an seinem Posten festgehalten, auch Benjamin Netanjahu in Israel.  Wenn jemand ein reines Gewissen hat, tut man sich natürlich leichter. Gefährlich wird es, wenn einzelne Personen, die in Verfolgung gezogen worden sind, sich selbst eingestehen müssen, dass die Vorwürfe berechtigt sind.

Die Staatsanwaltschaft arbeite nicht auf Basis reiner Konstruktionen, sagt Fiedler.<span class="copyright"> NLK/Filzwieser</span>
Die Staatsanwaltschaft arbeite nicht auf Basis reiner Konstruktionen, sagt Fiedler. NLK/Filzwieser

Die ÖVP spricht von konstruierten Vorwürfen aus SMS-Fetzen. Was fällt Ihnen als früherer Staatsanwalt dazu ein?

Wir befinden uns im Vorverfahren und nicht im Hauptverfahren. Es gibt noch keine Gerichtsverhandlungen, sondern es wird von der Staatsanwaltschaft eine Reihe von Beweisen durchgeführt, es werden Fakten erhoben und Schlüsse gezogen. Das sind nicht reine Konstruktionen. Ob die Vorwürfe richtig sind, wird sich aber erst weisen.

Hätten strengere Transparenzregeln eine solche Krise verhindern können?

Auch gute Gesetze können Straftaten nicht verhindern. Der Diebstahl ist seit tausenden Jahren verboten, trotzdem wird noch gestohlen. Aber es hat sich vor allem in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass gute Gesetze im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Korruption dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Ich bin überzeugt, dass man das eine oder andere verhindern hätte können, wenn man im Zusammenhang mit dem Inseratenkauf strengere Regeln inklusive entsprechender Strafen bei Zuwiderhandlungen schafft. Ob  man alle zur Diskussionen stehenden Sachverhalte im konkreten Fall verhindern hätte können, wird niemand beantworten können.

Sollte die aktuelle Causa genutzt werden, um zu strengeren Transparenzregeln zu kommen?

Es wäre hoch an der Zeit. Es gibt das Anti-Korruptionsvolksbegehren, dessen Forderungen weitgehend von den im Nationalrat vertretenen Parteien unterstützt werden. Leider hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Ankündigungen von Parteien vielfach nicht zu einer Umsetzung geführt haben. All jene Staatsbürger, die ein Interesse an einer korruptionsfreien Verwaltung und Politik haben, haben nun die Möglichkeit das Volksbegehren zu unterschreiben.