Wie sich die Farbe der ÖVP jetzt wieder ändert

Landeshauptleute gehen auf Distanz zu Sebastian Kurz und türkisen Machenschaften.
Wien Immer wieder ist von einem Tsunami die Rede, wenn es um die ÖVP geht: Wie aus dem Nichts ist so Gewaltiges über sie hereingebrochen, dass noch kaum jemand realisiert hat, was passiert ist. Erst vor einer Woche meinte ein Politologe in einem ganz anderen Zusammenhang gegenüber den VN, Sebastian Kurz könnte noch über viele Jahre hinweg als Kanzler bestimmend und als Parteichef erfolgreich bleiben. Heute ist er Altkanzler.
Ein ÖVP-Landeshauptmann nach dem anderen geht auf Distanz. Mittlerweile hat das auch der letzte getan, der sich nach den Hausdurchsuchungen noch hinter Kurz gestellt hatte. In der „Tiroler Tageszeitung“ spricht Günther Platter nicht mehr von 100-prozentiger Unterstützung. Im Gegenteil, es sei zu begrüßen, dass Kurz als Klubobmann in die „zweite Reihe zurückgeht“: „Es gibt schwerwiegende Vorwürfe, die man nicht wegwischen kann.“ Als Türkiser will der Tiroler weniger denn je gesehen werden: „Ich bin ein Schwarzer, und mein Umfeld ist schwarz. Da haben wir schon immer andere Anschauungspunkte gehabt.“
„Die gerichtlichen Verfahren, die es abzuwarten gilt, werden mehrere Wahlen überleben.“
Hermann Schützenhöfer, Landeshauptmann Steiermark
Bedeutender noch ist eine Video-Botschaft der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Niederösterreich galt bisher nicht nur als schwarzes, sondern auch als türkises Kernland. Mikl-Leitner hat vor vier Jahren dazu beigetragen, dass Kurz die ÖVP übernehmen konnte. Jetzt meint sie: „Klar ist, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden müssen. Die Chats zeichnen ein Bild, das wir so nicht stehen lassen wollen und können.“
Klare Ansage
Für den steirischen LH Hermann Schützenhöfer ist klar, dass Kurz nicht mehr Kanzler wird. Der „Kleinen Zeitung“, die ihn darauf angesprochen hat, sagte er wörtlich: „Wir konzentrieren uns jetzt auf den Alexander Schallenberg. Die gerichtlichen Verfahren, die es abzuwarten gilt, werden mehrere Wahlen überleben. Insofern halte ich Ihre Frage für theoretisch.“ Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat sich am weitesten vorgewagt. Auf die Frage nach einem Parteiausschluss antwortete er auf „Vorarlberg Live“ grundsätzliich: „Bei der strafrechtlichen Dimension ist es für mich klar. Über strafrechtliche Verfehlungen muss man mit mir nicht diskutieren.“
„Die Chats zeichnen ein Bild, das wir so nicht stehen lassen wollen und können.“
Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau Niederösterreich
Jetzt sind die Dinge im Fluss. Wallner lässt über einen Sprecher ausrichten, „vorerst alles in der Causa umfangreich beantwortet“ zu haben. Es ist nicht absehbar, was noch alles kommen wird. Am Dienstag gab es die Festnahme einer involvierten Meinungsforscherin. Mit der Veröffentlichung weiterer Chats wird gerechnet. Und darüber, wie das Zusammenspiel zwischen Bundeskanzler Schallenberg und Parteichef, Klubobmann Kurz funktionieren soll, hat sich noch niemand Gedanken gemacht. Es hängt auch davon ab, ob Kurz wirklich an einem Comeback arbeiten möchte.
Die ÖVP-Landeshauptleute haben größere Probleme: Wallner erinnerte in den VN daran, dass Kurz erst Ende August auf einem Bundesparteitag mit 99,4 Prozent im Amt bestätigt worden ist. „Das wird man nicht von heute auf morgen infrage stellen.“ Außerdem sind Kurz vor vier Jahren durch eine Statutenänderung weitreichende Befugnisse eingeräumt worden. So behält er als Parteiobmann die Personalhoheit über die türkise Regierungsriege. Schallenberg und die übrigen Minister bleiben ein Stück weit in seinen Händen. Andererseits könnte Kurz bei „einer Schädigung des Ansehens der Gesamtpartei“ wie jeder andere Funktionäre durch den Vorstand aus der ÖVP ausgeschlossen werden.