Bankrotterklärung
Besonders für die Aussagen der Landeshauptleute Wilfried Haslauer (Salzburg) und Thomas Stelzer (OÖ) diese Woche mag man sich auch als unbeteiligter Dritter bei Wissenschaftlern und medizinischem Personal entschuldigen: Es sind nicht alle so. Einer Masse ist bewusst, dass das Prognosekonsortium, das im Auftrag des Gesundheitsministeriums tätig ist, in einem Anfang Juni veröffentlichten Papier darauf hinwies, dass es bei niedriger Durchimpfungsrate einmal mehr zum Schlimmsten kommen könnte. Dasselbe Konsortium legt außerdem regelmäßig Zahlen für die erwartete Entwicklung in den Spitälern vor. Zuletzt ist es auch diesbezüglich gekommen wie befürchtet.
Schlimm sind die Berichte von Pflegerinnen und Pflegern sowie Ärztinnen und Ärzten, die, dieser Vergleich erscheint hier notwendig, zunehmend kriegsähnlich sind. Sie selbst sind nach mehr als eineinhalb Jahren erstens am Ende und zweitens zu wenige. Insofern zeugte es von großem Zynismus, als Stelzer noch am Mittwochenabend erklärte, man habe „Gott sei Dank“ viele Intensivbetten. Als hätte er nicht gewusst, dass mehrere Fachkräfte für ein solches erforderlich sind, damit die Patientin oder der Patient darin behandelt werden kann. Fehlen sie, ist das ein Todesurteil.
Ebenso viel Geringschätzung für systemrelevante Frauen und Männer brachte Haslauer mit der „ein bisschen übertriebenen“ Behauptung zum Ausdruck, Virologen wäre es am liebsten, wenn sich alle in einem Zimmer einsperren würden. Wo sie zwar niemanden anstecken, aber „aus Depression sterben oder verhungern oder verdursten“ würden. Gut, Haslauer steht unter Druck. Vielleicht wollte er nur sagen, dass er neben gesundheitlichen Fragen auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte zu beachten hat. Selbst wenn man das berücksichtigt, bleibt der Ausspruch jedoch entlarvend.
„Die Rechnung zahlen jetzt alle, insbesondere das überwiegend geimpfte Spitalspersonal.“
Hier läuft eine Bankrotterklärung für eine Art Politik zu machen. Die Beteiligten merken das und verlieren die Nerven: In einer Pandemie ist es irgendwann nicht mehr möglich, einfach nur erfreuliche Aussichten zu präsentieren, Widerrede zu unterdrücken und die Bevölkerung für dumm zu verkaufen, also lupenreine „Message Control“ zu betreiben. Die Wirklichkeit ist offensichtlich. Umso mehr rächt sich die stolze Eigenwerbung der Türkisen vom Sommer, wonach sie die Gesundheitskrise bereits „gemeistert“ hätten, genauso wie die Darstellung von Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP), es gebe nur noch ein „medizinisches Problem“ der Ungeimpften oder die Ermunterung des grünen Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein an Junge, sich ins Nachtleben zu stürzen. All das hat in Verbindung mit einer vernachlässigten Impfkampagne zu Sorglosigkeit und einer neuerlichen Eskalation beigetragen.
Vor allem aber haben Wissenschaftler gewarnt. Sie haben nicht gesagt, wie es kommen wird, sondern unterschiedliche Szenarien präsentiert. Auch besorgniserregende. Sie wurden jedoch ignoriert, weil sie die inszenierte „Rückkehr zur Normalität“ gestört hätten. Die Rechnung zahlen jetzt alle, insbesondere das überwiegend geimpfte Spitalspersonal. Ein Ausdruck des Bedauerns wäre angebracht, aber nicht ausreichend: Was sich anbahnt, wiegt noch schwerer als die jüngsten Korruptions- und Chataffären.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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