Faßmann: Kein Lagezuschlag für Vorarlberger Lehrer

Politik / 12.11.2021 • 15:20 Uhr
Faßmann: Kein Lagezuschlag für Vorarlberger Lehrer
“Ich möchte nicht, dass die Schülerinnen und Schüler aus Solidarität mit den Ungeimpften abermals die Last der Pandemiebekämpfung auf sich nehmen”, erklärt der Bildungsminister. VN/HARTINGER

Faßmann sprach mit den VN über Lehrermangel, die Coronalage in Vorarlberg und die anstehende Matura. Elementarpädagogik und Nachmittagsbetreuung will er künftig nach dem Muster des Pflichtschulbereichs finanzieren.

Wien Bildungsminister Heinz Faßmann sieht aktuell keine Zeichen für eine baldige Verschärfung der Coronamaßnahmen an den Vorarlberger Schulen. Sie seien nicht verdächtig, bald die höchste Sicherheitsstufe zu erreichen. Die Abwasseranalysen würden zeigen, dass der rasante Anstieg der Coronazahlen wieder abflache, wenngleich die Spitzen noch nicht erreicht seien. Den Schülerinnen und Schülern will Faßmann nicht zumuten, die Last der Pandemiebekämfpung aus Solidarität mit den Ungeimpften zu tragen. Dass sich rund 7000 im häuslichen Unterricht befinden, hält er für eine vorübergehende Entwicklung. Zum Lehrermangel erklärt er, Vorarlberg bei allen Maßnahmen zu unterstützen. Das Land befinde sich in einer besonderen Situation, weil vor allem die Schweiz und Liechtenstein attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Eine Art Lagezuschlag schließt Faßmann aber aus. Für die Elementarpädagogik, Nachmittagsbetreuung und Unterstützungspersonal kündigt er mehr Geld an; auch, dass es eine Regelfinanzierung über den Finanzausgleich geben werde. Dass es derzeit nur Geld für den Aufbau der Betreuung in den Gemeinden gibt, bezeichnet der Minister als Investitionsbreme.

„Die Schulen zahlen den Preis für die Unvernunft der Minderheit“, sagte der pädagogische Leiter der Bildungsdirektion in Vorarlberg, Andreas Kappaurer. Wie hoch ist der Preis?

Ich versuche den Preis möglichst klein zu halten, indem die Schule funktioniert und offen bleibt. Die Schülerinnen und Schüler haben im vergangenen Schuljahr viel auf sich geladen und eine Solidarität mit den Älteren gezeigt. Ich möchte nicht, dass sie jetzt aus Solidarität mit den Ungeimpften abermals die Last der Pandemiebekämpfung auf sich nehmen.

Was sagt diese Unvernunft über unser Bildungssystem aus?

Gegen Irrationalität ist es manchmal schwer zu argumentieren, insbesondere dann, wenn es auch gesellschafts- oder parteipolitische Kräfte gibt, die das rationale Fundament unserer Gesellschaft immer wieder in Frage stellen wollen.

Über ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher ist noch nicht geimpft. Die Schüler dürften nicht die Last dafür tragen, sagt Faßmann. <span class="copyright">APA </span>
Über ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher ist noch nicht geimpft. Die Schüler dürften nicht die Last dafür tragen, sagt Faßmann. APA

Spielen Sie darauf an, dass ein Großteil der Ungeimpften mit der Basis der FPÖ zu vergleichen ist?

Irrationalität kann aus unterschiedlichen Quellen gestärkt werden: manchmal esoterisch, manchmal stark religiös motiviert, manchmal schlicht vom Informationsfluss abgehängt. Es geht quer durch Parteien und Familien. Aber es gibt auch eine klare Überlappung mit der FPÖ.

Wäre es in einer Zeit der Pandemie und der verhärteten Fronten nicht angebracht, über den Ethikunterricht für alle nachzudenken?

Bei Covid-19 geht es um die Frage, wo endet die Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen und wo gibt es eine Verantwortung für die Gesellschaft. Dieses Spannungsverhältnis wird nicht nur im Ethikunterricht behandelt, sondern auch im bekenntnisorientierten Religionsunterricht, weil wir uns mit den Religionsgemeinschaften geeinigt haben, dass diese einen Kanon von wesentlichen ethischen Fragen übernehmen. Freiheit und Zwang ist einer dieser Inhalte. Dahingehend werden sich alle Schülerinnen und Schüler der Oberstufe mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen.

Planen Sie, den Ethikunterricht weiter auszubauen, sodass Religions- und Ethikschüler nicht mehr getrennt sind?

Wir haben eine gute Lösung erzielt und wollen den Religionsunterricht nicht aushöhlen. Was wir vorhaben, ist eher eine Ausweitung des Ethikunterrichts in Richtung Sekundarstufe eins, sodass wir auch Schülerinnen und Schüler erreichen, die nach der 8. Schulstufe in die Berufsschulen wechseln.

<p class="caption"><p class="caption"></p>An den Schulen wird wieder viel getestet. Am Stufenplan  will Faßmann nichts mehr ändern. Darüber hinausgehende Verschärfungen könnten regional gesetzt werden. <span class="copyright">APA</span>

An den Schulen wird wieder viel getestet. Am Stufenplan will Faßmann nichts mehr ändern. Darüber hinausgehende Verschärfungen könnten regional gesetzt werden. APA

In den Schulen Niederösterreichs, Oberösterreichs und Tirols tritt Sicherheitsstufe 3 in Kraft. Das heißt: keine Schulveranstaltungen, nur digitale Sprechtage, Maskenpflicht im Unterricht in der Oberstufe. Gibt es auch Pläne für eine Stufe 4?

Nein. Der Stufenplan hat sich bewährt. Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit, ihn zu verändern.

Weitere Verschärfungen sind nicht angedacht?

Es gibt die Möglichkeit, situationsabhängig an den Standorten zu verschärfen. Ein Schuldirektor kann dies bei entsprechender Lage mit der Bildungsdirektion vereinbaren.

Home Schooling schließen sie komplett aus?

Als flächige durchgängige Maßnahme schließe ich das aus. Wir haben derzeit vier geschlossene Schulen und 160 geschlossene Klassen, bei 58.000 Klassen in ganz Österreich. Wir sind weit weg von einer eskalierenden Lage.

Ändert ein Lockdown für Ungeimpfte etwas am Stufenplan?

Nein.

Abwasseranalysen gewähren Ihnen einen gewissen Blick in die Zukunft. Was sehen Sie?

Derzeit zeigt die Abwasseranalytik, dass es zwar noch Anstiege gibt, aber nicht mehr dieses exorbitante Hinaufschnellen der Zahlen. Plafonds sind vielleicht noch nicht erreicht, aber es kehrt eine gewisse Beruhigung ein.

Stimmt Sie das optimistisch?

Sehr.

Die Vorarlberger Schulen seien derzeit nicht gefährdet, in die höchste Sicherheitsstufe zu kommen. <span class="copyright">APA</span>
Die Vorarlberger Schulen seien derzeit nicht gefährdet, in die höchste Sicherheitsstufe zu kommen. APA

Für die Vorarlberger Schulen herrscht Sicherheitsstufe 2. Wie wahrscheinlich kommt Stufe 3?

Vorarlberg ist nicht so Stufe-3-verdächtig. Auch die Abwasseranalyse zeigt, dass Vorarlberg gar nicht so schlecht unterwegs ist.

Wie wird die Matura aussehen?

Eher so, wie die Matura, die wir kennen: mit einem schriftlichen und mündlichen Teil, auch mit einer Präsentation der vorwissenschaftlichen Arbeiten. Die Einrechnung der Jahresnote in die Maturanote hat sich außerdem bewährt und bleibt.

Wird es Änderungen bei der Aufgabenerstellung geben?

Wir haben unabhängig von Covid in der Mathematik Veränderungen eingeleitet. Das führt zu einer Humanisierung der Zentralmatura.

Österreichweit waren vor den Herbstferien rund 7000 Schüler im häuslichen oder ortsungebundenen Unterricht, in Vorarlberg waren es rund 340. Wie haben sich die Zahlen entwickelt?

Die Zahlen sind seit Beginn des Schuljahres überall rückläufig, in Wien am stärksten, da die Bildungsdirektion alle Eltern durchtelefoniert und am Telefon Beratungsgespräche angeboten hat. Das hat sich als sehr wirksam herausgestellt.

Warum gibt es in Österreich keine Unterrichtsbesuchspflicht?

Es war die liberale Gesellschaft, der es gelungen ist, dass 1867 die Staatsgrundgesetze verabschiedet wurden, auch als Konsequenz der bürgerlichen Revolution von 1848. Das Bürgertum emanzipierte sich von der Obrigkeit und erhielt das Recht einen eigenen häuslichen Unterricht zu machen. Bisher sind wir damit gut gefahren. Eine Unterrichtsbesuchspflicht wäre in dem Sinne ja eine Stärkung des Obrigkeitsstaates.

Sollte die Obrigkeit zumindest mehr nachfragen und entscheiden können? Eltern müssen nicht einmal begründen, warum sie ihre Kinder aus der Schule rausnehmen.

Die Obrigkeit darf nachfragen, aber sie darf aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Konstellation den Wunsch der Eltern auf Heimunterricht nicht behindern. Sie kann in einem Beratungsgespräch jedoch informieren, was häuslicher Unterricht für die Entwicklung des Kindes bedeutet.

Eine Unterrichtsbesuchspflicht lehnt Faßmann ab. Die Entwicklung von tausenden Kindern im häuslichen Unterricht werde wieder zurückgehen. <span class="copyright">APA</span>
Eine Unterrichtsbesuchspflicht lehnt Faßmann ab. Die Entwicklung von tausenden Kindern im häuslichen Unterricht werde wieder zurückgehen. APA

Wie wird sich die Zahl der Kinder im häuslichen Unterricht langfristig entwickeln?

Diese Entwicklung wird sich wieder zurückgehen, wenn wir ruhigere Verhältnisse haben. Vor Beginn der Corona-Pandemie hatten wir Abmeldungen von 2000 bis 3000 Schülern, derzeit sind es 7000, aber bei insgesamt 1,2 Millionen – wohlgemerkt.

Vorarlberg kämpft mit einem Lehrermangel. Was tun Sie dagegen?

Vorarlberg befindet sich in einer besonderen Situation, weil vor allem die Schweiz und Liechtenstein attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Wir unterstützen das Land, welches versucht, über eine Werbekampagne mehr Studenten für die Pädagogische Hochschule zu gewinnen. Wir unterstützen Vorarlberg auch dabei, Pakete mit Stellenangeboten zu schnüren, die bereits eine Unterkunft bieten. Und wir versuchen, PH-Absolventen aus anderen Bundesländern zu werben.

Braucht es gewisse finanzielle Anreize, so etwas wie einen Lagezuschlag?

Wenn man in Vorarlberg mit einem Lagezuschlag beginnt, müsste man wahrscheinlich im Waldviertel mit einem Lageabschlag rechnen. Damit würden wir mit dem Prinzip brechen, im öffentlichen Dienst gleiche Gehälter zu bezahlen, die sich lediglich nach Verwendung, Qualifikation und Dienstalter unterscheiden. Die Berücksichtigung eines Lagezuschlags in Abhängigkeit zum Dienstort wäre ein fundamentaler Wechsel.

Ob es für Elementarpädagoginnen eine höhere Entlohnung geben wird, hätten die Sozialpartner zu klären, meint der Minister.
Ob es für Elementarpädagoginnen eine höhere Entlohnung geben wird, hätten die Sozialpartner zu klären, meint der Minister.

Über die Finanzierung im Bereich der Elementarpädagogik laufen nun Verhandlungen mit den Ländern. Sie haben mehr Geld versprochen. Wofür? Für mehr Personal, für bessere Öffnungszeiten?

Ich kann den Verhandlungen nicht vorgreifen. Wir wollen aber vor allem bei den Unter-Drei-Jährigen die Betreuungsquote heben sowie eine Ausweitung der Öffnungszeiten und Standardisierung der Gruppengrößen erreichen. Die Frage der Entlohnung der Pädagoginnen haben die Sozialpartner zu klären. Sie sind aufgerufen, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist im kommenden Jahr nicht im Budget zu finden. Ist das ein Programm ab 2023?

Ja, natürlich.

Das steht dann im Budget?

Das Budget für 2023 steht noch nicht fest. Ich wäre ein ungeschickter Verhandlungspartner, wenn ich schon vorher sagen würde, wie viel Geld es geben wird. Das Geld wird den Zielvorstellungen der Verhandlungspartner folgen.

Kinderbetreuung: "Was steht am Beginn? Der Rechtsanspruch oder der qualitative Ausbau?", fragt Faßmann. <span class="copyright">AFP</span>
Kinderbetreuung: "Was steht am Beginn? Der Rechtsanspruch oder der qualitative Ausbau?", fragt Faßmann. AFP

Was hätte ein Rechtsanspruch auf die Nachmittagsbetreuung oder Ganztagsschule verändert?

Im Bereich der Ganztagsschule und Nachmittagsbetreuung besteht der Rechtanspruch im Grunde schon. Die Schulerhalter müssen eine Infrastruktur bereitstellen, wenn eine bestimmte Mindestanzahl von Eltern Bedarf anmeldet. Es gibt auch die Forderung eines Rechtsanspruchs im Bereich der Elementarpädagogik. Da muss man fragen:  Was steht am Beginn? Der Rechtsanspruch oder der qualitative Ausbau, der dann den Rechtsanspruch realistisch werden lässt. Ich wähle den zweiten Weg. Es wäre eine Frotzelei, zu sagen, es gibt einen Rechtsanspruch, aber keine Plätze.

Viele Gemeinden holen das vom Bund zur Verfügung gestellte Geld nicht ab, weil es für den Ausbau der Nachmittagsbetreuung nur eine Anschubfinanzierung gibt. Sie wissen nicht, wie es später mit der Finanzierung weiter geht.

Richtig. Das ist eine Investitionsbremse. Die Gemeinden fragen sich zurecht, ob sie auf den Kosten sitzen bleiben. Deswegen streben wir eine nachhaltige Finanzierung von drei Bereichen an: Elementarpädagogik, Nachmittagsbetreuung und administratives sowie psychologisch-soziales Unterstützungspersonal.

Was heißt nachhaltig?

Die Finanzierung muss in den Finanzausgleich, wie sie bereits für den Pflichtschulbereich geregelt ist. Da ist sie an die Schülerzahlen gekoppelt. Ähnlich muss man das in den drei von mir aufgezählten Bereichen machen.