Von Kränkung und Unterwerfung
Was bedeutet die Omikron-Variante für uns? Wer wird unser Land langfristig regieren? Und was kann uns Gelassenheit vermitteln, wenn draußen die Impf-Gegnerinnen und -Gegner lautstark „gegen das System“ protestieren? Die vergangene Woche hat wieder gezeigt, dass die Vorstellung von Kontrolle in einer Welt, die immer unüberschaubarer wird, nur eine Illusion ist. Politik und Journalismus sehen sich mit grundlegenden Erkenntnissen konfrontiert – und mit der Frage, wie man manches künftig anders angehen könnte.
„Gerade heute sollte möglichst korrekte Information vor möglichst schneller Information zählen. “
Da wäre einmal die Kränkung als ein Grundmotiv in der Politik, sie gehört leider zum Geschäft. Ob im Aufstieg, wenn man sich oft den Anforderungen anpassen, hochdienen, sich verbiegen muss, um zu gefallen. Ob am Ende, wenn man die Politikwelt nach einer Niederlage, Unstimmigkeiten mit den eigenen Leuten oder Ermittlungen der Justiz verlässt. In den vergangenen Tagen erahnt man wieder diese Kränkung bei jenen, die von der politischen Bühne abgehen.
Zur Kränkung gehört allerdings auch der Revanchismus, den man jetzt in einigen Kommentaren zu den von der Macht Abtretenden deutlich erkennt. Doch Verletzungen kann man nicht durch Rache heilen, wie schon der römische Philosoph Seneca festgestellt hat: Du trinkst immer die Hälfte des Giftes selbst. Rache ist nicht süß, sie ist bitter, sie nährt den Schmerz und bringt meist nichts Konstruktives hervor. Bitte im Handbuch für Politikerinnen und Politiker niederschreiben – für Aktive und Abgetretene.
Ein Rennen ohne Sinn
Und dann wäre da noch die Geschwindigkeit der Welt, mit der auch der politmediale Betrieb ringt. Diese Schnelligkeit überholt uns Medienleute in bewegten Wochen dauernd, die Zyklen werden immer kürzer. Alle wissen das und dennoch hält man die gehetzte „Breaking news!“-Kultur der Eilt- und Gerüchte-Meldungen hoch, der wir alle unterworfen sind.
Als wäre es für irgendjemanden sinnvoll, erster in einem medialen Rennen zu sein, das meist schon nach einem Tag oder nur ein paar Stunden hinfällig ist, weil die nächsten Neuigkeiten durch die Welt rasen. Gerade heute sollte möglichst korrekte Information vor möglichst schneller Information zählen, obwohl das manchmal etwas mehr Zeit zum Nachdenken und Einordnen braucht. Immer am schnellsten zu berichten und immer inhaltlich richtig zu liegen – das ist sich vielleicht in der alten analogen Medienwelt vor Social Media ausgegangen.
Medien müssen sich wieder Zeit nehmen dürfen, um ihre Funktion besser zu erfüllen, das sollte von allen Beteiligten respektiert werden. Und man muss eben im Zweifelsfall öfter aufrichtig sagen: Wir wissen es noch nicht und arbeiten daran, mehr zu wissen. Ein Satz, den man auch von der Politik gerne öfter hören würde.
Julia Ortner
julia.ortner@vn.at
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.
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