Neue ÖVP
Das Bemühen ist offensichtlich: Mit Karl Nehammer steht nicht nur ein neuer Mann an der Spitze der ÖVP und der Regierung, es wird auch versucht, Ballast der Vergangenheit abzuwerfen und zu einer soliden Politik zurückzukehren. Möge die Übung gelingen. Österreich braucht eine starke bürgerliche Mitte-Rechts-Partei.
Zu viel ist in den vergangenen Jahren aus dem Lot geraten. Vor Sebastian Kurz war die Bundes-ÖVP der Marginalisierung nahe. Mit ihm überwand sie das nur, indem sie Freiheitliche kopierte. Zum Beispiel in Form einer Flüchtlingspolitik, die weder an Menschlichkeit noch an einer grundsätzlichen Lösung des Problems interessiert war; die keine „Hilfe vor Ort“ leistete und auch keine Gnade gegenüber Kindern aus griechischen Lagern walten ließ. Sie war vielmehr froh über jede Gelegenheit, Härte demonstrieren zu können.
Einrichtungen wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wurden niedergemacht, das Parlament verhöhnt und Ministerien zu Selbstbedienungsläden umfunktioniert. Dieser Eindruck hat sich durch den Prüfbericht der Internen Revision des Finanzministeriums zu Inseratengeschäften unter ehemaligen Ressortchefs wie Gernot Blümel (ÖVP) erhärtet.
Vieles ist Geschichte, wird aber noch Konsequenzen haben. Nehammer scheint mit Leuten wie Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) entschlossen, allerhand aufarbeiten zu lassen. Das ist notwendig, damit die ÖVP neu starten kann. Es gibt Stimmen, die meinen, dass die Partei das am besten in Opposition versuchen sollte. Nach so vielen Jahren an der Macht wäre das angemessen. Demokratie lebt vom Wechsel. Gewählt wird aber wohl erst 2024.
Unterschiedliche Interessen
In jedem Fall erscheint es wichtig, dass sich die ÖVP wieder fängt: In einer diversen Gesellschaft gibt es unterschiedliche Interessen. Das liegt in der Natur der Sache. Eine arme Frau hat eher andere Vorstellungen und Bedürfnisse als ein reicher Mann, eine Unternehmerin wiederum andere als ein Angestellter etc. Parteien sollten dies einigermaßen abbilden. Damit das Land regierbar bleibt, schadet es aber nicht, wenn es zwei, drei größere gibt.
Kein Gesetz besagt, dass die ÖVP dazugehören muss. Das Problem ist jedoch dies: Etwa die Hälfte der Österreicher wählt traditionell mitte-rechts. Meist sind es mehr, gelegentlich weniger. Entscheidend ist, dass sie auch ein attraktives, aber gemäßigtes Angebot vorfinden. Sonst ist morgen nicht irgendeine FPÖ möglicherweise Kanzlerpartei, sondern die von Herbert Kickl.
Johannes Huber
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Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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