Bye Bye Boris!
Der “Bye Bye Boris Song” von einem gewissen Humphrey Milles mit seinen bitterbösen Videoclips und sarkastischen Collagen hat gute Chancen, zum Hit des Jahres 2022 zu werden. Boris Johnsons Rücktritt als konservativer Parteichef und sein baldiger Abgang aus dem Amtssitz in der Downing Street waren längst fällig – und nichts weniger als spektakulär. Der „Economist“ zeigt auf dem Cover seiner neuesten Ausgabe ein Foto von Boris Johnson im schwarzen Anzug und mit hellblauem Helm, an eine Seilrutsche (Zip Wire) angeschnallt und mit zwei britischen Flaggen jonglierend. Es war einer von Bo Jo’s in jeder Beziehung typischen Publizitätsgags: Die Szene hatte sich am 1. August 2012, anlässlich der Olympischen Spiele in London ereignet: Johnson wollte hoch in der Luft in rasantem Tempo über den 320 Meter langen Zip Wire flitzen, mit den beiden Union Jacks Patriotismus markieren und seine Tollkühnheit beweisen.
Es war unverkennbar eine Anspielung auf die Stunts in dem 2012 lancierten James-Bond-Film unter dem Titel „Skyfall“ mit Daniel Craig in der Rolle des fiktiven britischen Nationalhelden 007 – und zugleich eine parodistische Anspielung auf die Aktion der Queen, die ja, witzig und sehr erfolgreich, fünf Tage zuvor bei der Olympia-Eröffnungszeremonie an einem Sketch mit Bond-Darsteller Daniel Craig teilgenommen hatte. Was bei der Queen publikumswirksam und technisch perfekt über die Bühne gegangen war, ging bei Boris Johnson – wie eigentlich fast alles – in die Hosen: Bo Jo blieb in zehn Meter Höhe plötzlich auf seinem Hochseil stecken und verlangte lautstark „eine Leiter oder ein Seil“ zur Befreiung aus seiner misslichen Lage. Der „Economist“ brachte es auf den Punkt: In Anspielung auf „Skyfall“ titelte das Magazin „Clownfall“.
Als Clown wurde der charmante und kinderfreundliche Bo Jo gerne charakterisiert, aber nicht als ernsthafter Politiker. Der Hochseil-Akt und das Steckenbleiben in schwindelnder Höhe wurde ungewollt zum prophetischen Akt, zur Metapher seiner Regierungszeit: Der Premier hatte sich von einem Skandal zum nächsten gehangelt, ohne abzustürzen – bis sich schließlich seine konservativen Abgeordneten und das Gros seiner Kabinettsminister von ihm abgewandt hatten und diesen dann buchstäblich in der Luft hängen ließen. Mit dem Mut der Verzweiflung klammerte er sich an dieses Hochseil – in einer objektiv hoffnungslosen Situation. In seiner Rücktrittserklärung sagte er: „Ich will, dass ihr wisst, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben.“ Kein Wort der Entschuldigung. Denn Johnson hinterlässt einen Scherbenhaufen: Brexit ist ein Desaster, der Lebensstandard der Nation sinkt, die Tories sind unglaubwürdig.
„Der Hochseil-Akt und das Steckenbleiben in schwindelnder Höhe wurde ungewollt zum prophetischen Akt.“
Charles E.
Ritterband
charles.ritterband@vn.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).