“Die weitreichenden Kompetenzen sind nur für Notsituationen gedacht”

Politik / 20.08.2022 • 11:00 Uhr
"Die weitreichenden Kompetenzen sind nur für Notsituationen gedacht"
Walter Rosenkranz kämpft um das Bundespräsidentenamt. APA/Herbert Neubauer

FPÖ-Präsidentschaftskandidat Walter Rosenkranz sorgt mit Aussagen bei Vorarlberg LIVE über die Kompetenzen des Bundespräsidenten für Diskussionen.

Wien “Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.” Mit diesem Sager ließ der damalige FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer im Wahlkampf 2016 aufhorchen. Er bezog sich dabei auf das Amtsverständnis des Staatsoberhaupts und konnte sich auch vorstellen, mit den Usancen der bisherigen Präsidenten zu brechen. Jetzt, sechs Jahre später, sind die Diskussionen zurück. Und wieder ist es der Kandidat der Freiheitlichen, in diesem Fall Walter Rosenkranz, der offen mit den Kompetenzen des Amts spielt.

Konkret kann sich Rosenkranz vorstellen, wie er am Donnerstag bei Vorarlberg LIVE ankündigte, die Bundesregierung zu entlassen, nur um eine neue Bundesregierung einzusetzen, die ihm in Folge vorschlägt, den Nationalrat aufzulösen. Das ist zwar eine Möglichkeit, die dem Bundespräsidenten zusteht, die bisher aber nur einmal angewandt wurde: 1930, noch in der ersten Republik, als die amtierende Bundesregierung ein Misstrauensvotum befürchtete und deshalb Bundespräsident Wilhelm Miklas vorschlug, den Nationalrat aufzulösen, was dieser auch tat.

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“Dann riecht das nach Putsch”

Verfassungsjurist Heinz Mayer, der sich 2016 auch im Wahlkampf von Alexander Van der Bellen engagierte, empfindet die Überlegungen von Walter Rosenkranz als unpassend: “Verfassungsrechtlich hätte er zwar die Möglichkeit dazu, eine Regierung jederzeit zu entlassen. Wenn er das aber ohne einen triftigen Grund tut, dann riecht das für mich nach einem Putsch.”

Der von Rosenkranz ins Spiel gebrachte Grund sei jedenfalls unzureichend, sagt Mayer. Der FPÖ-Kandidat erzählte, dass bei seiner Wahlkampftour immer wieder auf Bürger treffe, die mit der Regierung unzufrieden seien. Das spiegle sich auch in den Umfragen wider. Mayer entgegnet, dass das zu wenig sei, um eine Regierung zu entlassen: “Die Stimmung im Land schwankt immer wieder.” Vielmehr solle der Bundespräsident diese Kompetenzen nur einsetzen, um einen drohenden Schaden an der Republik abzuwenden.

Notverordnungen folgen auf Auflösung

Die Auflösung des Nationalrats würde nämlich auch große Verantwortung für den Bundespräsidenten selbst bringen, denn: “Sobald er das tut, ist der Nationalrat sofort handlungsunfähig. Dann muss er für drei Monate gemeinsam mit der Bundesregierung mit Notverordnungen regieren. Und dabei kann er großen Schaden anrichten.” Der Bundespräsident habe daher das Ergebnis der Nationalratswahlen und eine mit Nationalratsmehrheit ausgestattete Bundesregierung im Normalfall zu respektieren, so Mayer. Der Bundespräsident sei zwar mit vielen Kompetenzen ausgestattet, habe sich bisher aber immer auf die Notwendigsten beschränkt.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Verfassungsjurist Clemens Jabloner, Justizminister der Übergangsregierung unter Brigitte Bierlein, im VN-Gespräch: “Walter Rosenkranz hat auf Kompetenzen hingewiesen, die es tatsächlich gibt. Ob man das tun soll, oder nicht, ist immer eine verfassungspolitische Frage.” Jedenfalls sei es keine Beleidigung für Hans Kelsen, den Schöpfer unserer Bundesverfassung, wie es Rosenkranz ausdrückte, wenn er seine Kompetenzen nicht ausüben dürfe, denn: “Die weitreichenden Kompetenzen für den Präsidenten entstammen einer Novelle, mit der Hans Kelsen nichts mehr zu tun hatte”, so Jabloner.