Tränen zum Tod
Die Welt trauert. Eine Königin ist tot: Elizabeth II. von Großbritannien und Nordirland. Nach 70 Jahren Regentschaft. Aber was rührt ungezählte Millionen von Menschen zu Tränen? Sind es auch Tränen zur Trauer über das Ende von Glamour und das Träumen von einer heilen und perfekten Welt?
Bei allem weltweiten und auch berechtigten Hochpreisen einer liebenswerten „Mutter der Nation“ und Staatsoberhauptes in einem Land ohne wirkliche Macht: Es sind im „United Kingdom“ wohl auch Tränen über das Ableben der moralischen Garantin des Untergangs eines mit Mordorgien brutal zusammengeraubten und ausgeplünderten britischen Imperiums mit einstmals 120 Staaten der Erde und mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung.
Die tote Königin und damit auch ihr Nachfolger König Charles III. als „Vorsteher“ des „Britischen Commonwealth“ mit noch 56 weitgehend selbstständigen ehemaligen Kolonial-Staaten mit 2.5 Milliarden Einwohnern sind symbolhaft auch ein Zeichen der möglichen Amoralität der erblichen Monarchie. Denn sie ist staatliche Macht ohne demokratische Legitimation und ohne die unverzichtbare Kontrollmöglichkeit durch die „Untertanen“.
Natürlich wird auch in faktischen oder letztlich nur nominellen Demokratien gelegentlich nicht die Idealform der anzustrebenden Regierungsart praktiziert: Beispielsweise mit Wahlbehinderungen, gewaltsamen Umstürzen und gelegentlichen Versuchen. Letzteres wie im Fall von Donald Trumps USA durch die Nichtanerkennung eines demokratisch legitimierten Wahlergebnisses und mit der Anstiftung eines Staatsstreichs mit Toten.
Etliche Demokratien und auch Monarchien praktizieren mit in ihren Verfassungen festgelegten Regelungen einen Dualismus mit Volksvertretungen und Staatsoberhaupt. Damit haben die Regierten in Demokratien das Recht und die Pflicht, auf „Abwege“ geratene Staatsoberhäupter direkt oder indirekt abzuwählen und die Moral zu retten. In der erblichen Monarchie wie der Großbritanniens, das nicht einmal über eine Verfassung verfügt, fehlt dieser Rettungsanker.
Der Name der gestorbenen Königin Elizabeth II wird deshalb mit dem Makel behaftet sein, zum Unrecht des britischen Kolonialismus „ihres“ Imperiums geschwiegen zu haben, weil es die von ihr verlangte „Fasson“ erwartete. Es ist damit, wohlgemerkt, nicht ihre Schuld. Es ist letztlich die Schuld von Regierenden. Und Millionen von Menschen, die Opfer des Kolonialismus im „British Empire“ wurden, können keine Tränen über den Tod der Königin weinen.
„Der Name Elizabeth II wird mit dem Makel behaftet sein, zum britischen Kolonialismus geschwiegen zu haben.“
Peter W. Schroeder
berichtet aus Washington, redaktion@vn.at