Von Grillo bis Wlazny: Der Aufstieg von Spaß in der Politik

Politik / 27.11.2022 • 07:00 Uhr
Von Grillo bis Wlazny: Der Aufstieg von Spaß in der Politik
Mit seinem Wahlerfolg sorgte Dominik Wlazny (o.) für Aufsehen. Der Spaß ist, auch dank Beppe Grillo, Wolodymyr Selenskyj, Nico Semsrott, Martin Sonneborn und Jón Gnarr (v.l.n.r), in der Politik angekommen. Reuters/3, AP/2, AFP

Was die Satire mit der Politik macht und was sie tatsächlich bewegen kann: Es ist ein schmaler Grat, sagt Politologin Kathrin-Stainer-Hämmerle.

Straßburg, Wien Die zwischenzeitlich größte Regierungspartei Italiens, die Fünf-Sterne-Bewegung, wurde 2009 vom Komiker Beppe Grillo gegründet. Vor seiner Wahl zum ukrainischen Präsidenten war Wolodymyr Selenskyj unter anderem als Kabarettist tätig. Der frühere Bürgermeister der isländischen Hauptstadt Reykjavik, der Komiker Jón Gnarr warb im Wahlkampf zum Beispiel mit “Offener statt heimlicher Korruption”. Und der Kandidat der österreichischen „Bierpartei“, Dominik Wlazny, zuvor bekannt geworden als „Marco Pogo“, erreichte bei der Bundespräsidentenwahl im Oktober sogar den dritten Platz. 

Dass Spaß in der Politik boomt, zeigt auch die Deutsche Satirepartei “Die Partei”, die 2019 mit zwei Abgeordneten in das Europäische Parlament gewählt wurde: Mit Parteichef Martin Sonneborn und mit dem Listenzweiten Nico Semsrott. Letzterer ist – nach einem innerparteilichen Konflikt mit Sonneborn – mittlerweile aus der Partei ausgetreten, hat aber bis zum Ende der Legislaturperiode weiter das Mandat in Brüssel und Straßburg inne.

“Man bekommt die Stimmen, die man sich als Partei erarbeitet hat. Und wenn eine andere Partei mehr Leute überzeugt, hat sie sich das verdient. Satireparteien werden dann gewählt, wenn die Menschen glauben, dass sie ein besseres Angebot machen als die Anderen. Wenn ein System zum Beispiel enttäuscht.”

Nico Semsrott, Abgeordneter der Partei “Die Partei” im Europäischen Parlament

Dass satirische Aktionen ein schlechtes Bild auf die Politik werfen, bestreiten die „Spaßpolitiker“ aber. Das seien unzulässige Pauschalierungen, sagt Semsrott den VN: „Natürlich ist die Satire eine andere Form der Kommunikation, schlussendlich zählen aber die Inhalte, die damit vermittelt werden sollen.“ Gleichzeitig könne man auch nicht pauschal sagen, ob Satire an sich ein probates Mittel ist: “Es hängt von den Individuen und der Partei ab, ob daraus etwas Guter oder Schlechtes wird“, erklärt der 36-Jährige anlässlich eines Besuchs der VN in Straßburg.

Lücken im System nutzen

Grundsätzlich würde sich der Raum für Satire in der Politik immer dann ergeben, wenn eine Lücke entsteht: „Wenn ein System viele Leute enttäuscht, nicht überzeugt und Satirepolitiker dadurch Erfolg haben, ist das ein Alarmsignal für die etablierten Parteien“, vermutet Semsrott. Auch deshalb sei nicht von einer Art „Stimmenklau“ zu sprechen, wie Dominik Wlazny im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf mehrfach vorgeworfen wurde: „Wenn man als Partei mehr Leute überzeugt, hat sie die Stimmen verdient. Das ist total demokratisch.“ Sobald man dann aber „Macht“ in Form eines Mandats verfügt, müsse man verantwortungsvoll damit umgehen.

“Ich glaube nicht, dass es ein Widerspruch sein muss, ernsthaft Politik zu machen und gleichzeitig Spaß an der Arbeit zu haben. Die Frage ist: Ist der Spaß der Ersatz für die Ernsthaftigkeit? Ist das ein Politikersatz?”

Othmar Karas, ÖVP-Abgeordneter und Erster Vizepräsident im Europäischen Parlament

Dass Semsrott das nicht tue, bekommt er immer wieder von anderen Fraktionen in Brüssel und Straßburg vorgeworfen. Als er zum Beispiel bei einer Rede im Plenum seine Kapuze nicht absetzt, rügt ihn Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP) mit einem Verweis auf die Würde des Hauses. Als Karas später weihnachtliche Grußkarten an die Abgeordneten verschickt, auf denen weihnachtliche Mützen zu sehen sind, sendet Semsrott eine Nachricht an den Österreicher zurück: „Die Mützen verletzen die Würde des Parlaments.“ Und im VN-Gespräch lässt Karas leise Kritik an der Satire in der Politik durchblicken: „Die Frage ist: Ist der Spaß der Ersatz für die Ernsthaftigkeit? Ist das ein Politikersatz?“ Spaß und Politik müssten kein Widerspruch sein, entgegnet Semsrott.

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Aufmerksamkeit durch Satire

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle mahnt Satireparteien allerdings zur Vorsicht: „Spaß in der Politik schadet nie, aber es ist ein schmaler Grat, dass es nicht lächerlich wird.“ Ein Satireprojekt könne sich immer auf ein Thema konzentrieren, es bestehe aber die Gefahr, dass das mit der Zeit abstumpft. Zu den wichtigsten Aufgaben solcher Projekte zählt laut Stainer-Hämmerle, Aufmerksamkeit zu generieren: „Man kann schon etwas verändern, dass sich zum Beispiel andere Parteien mit einem Thema beschäftigen.“ Auch aus diesem Grund habe sich Dominik Wlazny im Bezirksrat von Wien-Simmering rasch zu einem ernsthaften Politiker gewandelt.

“Dominik Wlazny hat sich zu einem ernsthaften Politiker gewandelt. Spaß in der Politik kann immer dort funktionieren, wo man Amtsträgern einen Spiegel vorhalten kann, wenn zum Beispiel der Kontakt zum Volk fehlt. Aber es ist ein schmaler Grat, dass es nicht lächerlich wird.”

Kathrin Stainer-Hämmerle, Politikwissenschaftlerin (FH Kärnten)

Keinesfalls seien Satireprojekte eine Gefahr für die Demokratie, betont Stainer-Hämmerle gegenüber den VN: „Das muss eine Demokratie aushalten. Eine satirische Partei wird nicht die Grundlage für den politischen Niedergang.“ Wer allerdings ein Amt erlange, müsse dieses auch ernst nehmen: „Geld aus dem System zu beziehen, jedoch nicht die erwartete Leistung abzuliefern, geht nicht.“ Martin Sonneborn von „Die Partei“ gilt hier als Negativbeispiel. In seiner ersten Legislaturperiode im EU-Parlament stimmte er stets abwechselnd mit „Ja“ und „Nein“. Oder wie es die Politologin beschreibt: „Wenn du immer weiter den Kasperl spielst, wird es zur Missachtung.“

Die Reise nach Straßburg erfolgte auf Einladung des Europäischen Parlaments. Die redaktionelle Verantwortung obliegt allein den Vorarlberger Nachrichten.