Abschiebungen nach Afghanistan als innenpolitisches Manöver

Geplante Abschiebungen von München aus nach Kabul und die Rolle des damaligen österreichischen Innenministers, Bundeskanzler Karl Nehammer, werfen Fragen auf.
Wien Es sind brisante Dokumente der deutschen Bundesregierung, aus denen die ARD, die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Falter“ zitieren. Demnach soll der frühere deutsche Innenminister Hort Seehofer (CSU) seinem damaligen Amtskollegen in Österreich, und heutigem Bundeskanzler, Karl Nehammer (ÖVP) „aus innenpolitischen Gründen“ einen Abschiebeflieger gechartert haben. Das Ziel Anfang August 2021: Die afghanische Hauptstadt Kabul, als diese schon längst unter Beschuss der Taliban war. Die deutsche Botschaft in Wien habe laut der Berichte „aus einem ÖVP-geführten Ressort“ gehört, „dass an eine demonstrative Abschiebung einer größeren Zahl von Afghanen per Charter Flug gedacht werde, wobei damals eine Provokation des grünen Koalitionspartners wohl bewusst in Kauf genommen werden sollte“.
Vom engen politischen Spielraum
Nach einem Mord an einer 13-Jährigen Niederösterreicherin, begangen von drei Afghanen, habe sich die Regierung in Wien unter enormem Druck gefühlt. „Österreich braucht aus innenpolitischen Gründen Abschiebungen“, soll es in den Akten heißen. Die ÖVP fürchte eine „erstarkende FPÖ“, die ihr nur einen „engen politischen Spielraum“ lasse, habe die deutsche Botschaft in Wien nach Berlin gemeldet. Der deutsch-österreichische Abschiebeflug hätte am 3. August 2021 um 21.30 von München starten sollen, er wurde in letzter Minute abgesagt. An Bord waren demnach mehrere Straftäter, aber nicht ausnahmslos “schwere Straftäter”, wie es die afghanische Regierung verlangt habe.
“Karl Nehammer hat ausgesprochen, was man schon immer im Gefühl hatte: Dass der ÖVP innenpolitische Perspektiven wichtiger sind als außenpolitische Verpflichtungen, was zum Beispiel die Menschenrechtskonvention oder übergeordnete Gerichte betrifft.”
Kathrin Stainer-Hämmerle, Politikwissenschaftlerin (FH Kärnten)
Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle zeigt sich gegenüber den VN von den Berichten nicht überrascht: „Es wurde ausgesprochen, was man schon immer im Gefühl hatte: Dass der ÖVP innenpolitische Perspektiven wichtiger sind als außenpolitische Verpflichtungen, was zum Beispiel die Menschenrechtskonvention oder übergeordnete Gerichte betrifft.“ Anfang August hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall eine Abschiebung nach Afghanistan untersagt, Nehammer noch Wochen später aber einen offiziellen Abschiebstopp ausgeschlossen.
Fremde als Wahlkampfthema
Auch unter dem neuen Parteichef habe die ÖVP gezeigt, weiter eine Linie von Ex-Kanzler Sebastian Kurz zu vertreten, so Stainer-Hämmerle: „Alle anderen politischen Themen werden der Zuwanderung untergeordnet. Schon im Wahlkampf waren an jedem Problem die Ausländer schuld.“ Nehammer erklärte in einer Stellungnahme, dass man „kein Geheimnis“ daraus gemacht habe, „dass Rückführungen nach Afghanistan so lange stattfinden werden, solange es rechtlich möglich ist“
Auch die in Koalitionskreisen immer wieder wiederholte These, wonach eine Zusammenarbeit mit Nehammer – einem „liberaleren“ Regierungschef – einfach sei als noch mit Kurz, sieht Stainer-Hämmerle zumindest von außen nicht bestätigt: „Ich erinnere nur an die Abschiebung von der Schülerin Tina. Damals hat Nehammer noch als Innenminister gesagt, dass er dazu verpflichtet gewesen sei. Dem hat der Verwaltungsgerichtshof widersprochen.“ Der heutige Regierungschef wirke diesbezüglich „nicht sehr reflektiert“, zumindest als Oberstes Verwaltungsorgan.
Die Anliegen seiner Partei setze er hingehen erfolgreich um: „Die ÖVP wird am Ende nicht punkten können, wenn sie zwar anständige Politik gemacht hat, aber am Ende Stimmen der FPÖ überlassen hat.“ Für die Wahlergebnisse würde es nichts bringen, wenn sich Politiker nur als anständige Vorbilder präsentieren.
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