Darum erhitzt der Ruf nach kürzerer Arbeitszeit die Gemüter

Politik / 17.04.2023 • 16:55 Uhr
Der Kammer zufolge wird in Österreich mehr Vollzeit gearbeitet als im EU-Durchschnitt.  <span class="copyright">APA/Manhart</span>
Der Kammer zufolge wird in Österreich mehr Vollzeit gearbeitet als im EU-Durchschnitt. APA/Manhart

Arbeiterkammer verweist auf gestiegenen Druck, Kritiker befürchten Verschärfung der aktuellen Probleme.

Schwarzach, Wien Arbeiten die Menschen in Österreich zu viel? Ja, sagt die Arbeiterkammer, und drängt auf eine Verkürzung der Arbeitszeit bei voller Bezahlung. Das kommt nicht überall gut an, gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel.

Arbeiterkammer-Präsidentin Anderl: "Es wird immer intensiver gearbeitet, der Arbeitsdruck steigt." <span class="copyright">APA/Manhart</span>
Arbeiterkammer-Präsidentin Anderl: "Es wird immer intensiver gearbeitet, der Arbeitsdruck steigt." APA/Manhart

30 bis 35 Stunden Vollzeit

„Es wird immer intensiver gearbeitet, der Arbeitsdruck steigt“, sagte Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl kürzlich bei einer Pressekonferenz. Eine gesetzliche Verkürzung sei der logische nächste Schritt. Anderl verwies auf eine nicht repräsentative Online-Umfrage unter rund 4700 Personen, welche die Kammer durchgeführt hat: Acht von zehn Befragten gaben dabei an, weniger arbeiten zu wollen. Jede zweite Teilzeitkraft würde mehr arbeiten, wenn Vollzeit anders definiert wäre. „Gesunde Vollzeitarbeit“ liegt der Kammer zufolge bei 30 bis 35 Stunden. Was den Fachkräftemangel angeht, verweist Anderl auf das Arbeitskräftepotenzial unter jenen Teilzeitbeschäftigten mit Betreuungspflichten, die gerne mehr arbeiten würden. Es handle sich um 438.000 Personen.

IV-Präsident Ohneberg befürchtet massiv höhere Kosten und damit weniger Wettbewerbsfähigkeit.
IV-Präsident Ohneberg befürchtet massiv höhere Kosten und damit weniger Wettbewerbsfähigkeit.

Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung kontern die Forderung mit Verweis auf eben diesen Fachkräftemangel. „Eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn verteuert den Faktor Arbeit massiv“, kritisiert Vorarlbergs IV-Präsident Martin Ohneberg. Reduziere man die Arbeitszeit um 20 Prozent, brauche es in den meisten Branchen auch 20 Prozent mehr Arbeitskräfte. Die Forderung bedeute „massive Kosten und damit weniger Wettbewerbsfähigkeit”, sagt Ohneberg. Dazu komme die Notwendigkeit, mehr Mitarbeiter zu finden, um die gleiche Arbeit zu erledigen. Diese gebe es momentan aber nicht. „Das sollte die Arbeiterkammer eigentlich wissen.”

Minister sieht Sozialpartner in der Pflicht

Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) hat bereits abgewunken. Er sieht die Sozialpartner in der Verantwortung, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung zu nutzen. Das ließe bereits die Kollektivvertragsautonomie zu, ist Kocher überzeugt.

Der Minister sieht die Sozialpartner gefragt. <span class="copyright">APA/Jäger</span>
Der Minister sieht die Sozialpartner gefragt. APA/Jäger

Eine VN-Nachfrage bei Expertinnen und Experten zeichnet wiederum ein unterschiedliches Bild. Das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut kann der Forderung der Arbeiterkammer viel abgewinnen. Ökonom Jakob Sturn verweist auf eine immer höhere Produktivität in den letzten 40 Jahren. „Wir sind doppelt so produktiv wie damals, haben aber die Arbeitszeit nicht verkürzt. Aus Produktivitätssicht könnten wir uns das leisten.“ Dass dadurch der Fachkräftemangel verschärft werden könnte, stellt der Momentum-Experte in Abrede. Schon jetzt kämen auf eine offene Stelle drei Arbeitslose. Daneben gebe es das Potenzial jener Menschen, die wegen Betreuungspflichten ungewollt Teilzeit arbeiten. Den größten Anteil machten Frauen aus. „Gerade im ländlichen Bereich sind die Betreuungsangebote oft schlecht.“

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Die wirtschaftsliberale Agenda Austria hält den Vorstoß hingegen für problematisch. „Das ist eine Vorgabe, die nicht in allen Bereichen ohne Weiteres umsetzbar ist“, sagt Ökonom Hanno Lorenz. Zwar existierten Branchen, in denen durchaus Produktivitätsgewinne vorstellbar seien, etwa im IT-Bereich, wo das auch schon teilweise so gelebt werde. Doch: „Das funktioniert dort sicherlich einfacher als beispielsweise in einer Pflegeeinrichtung.“ Lorenz hält fest: „Es spricht nichts dagegen, dies unternehmensintern zu lösen. Den Gesetzgeber braucht es dazu nicht.“ Vielmehr könnte dies aus Sicht des Agenda Austria-Experten den Mangel an Arbeitskräften verschärfen und den Wirtschaftsstandort gefährden, der bereits unter Inflation und Energiepreisen leide.