VN-Analyse: Stillstehende Rechtspolitik auf dem Prüfstand

Der Verfassungsgerichtshof beschäftigt sich mit der Sicherstellung von digitalen Geräten in Strafverfahren. Eine baldige Entscheidung könnte rechtspolitische Vorhaben vorantreiben.
Wien Anlässlich der Einführung der Haushaltsabgabe zur Finanzierung des ORF wiederholte Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) immer wieder ein Mantra: Die Bundesregierung habe sich das nicht ausgesucht, sie sei dazu vom Verfassungsgerichtshof praktisch gezwungen worden. Ähnliches könnte sich bald rund um rechtspolitische Vorhaben zutragen: Der Verfassungsgerichtshof berät aktuell über einen Antrag auf Aufhebung einzelner Bestimmungen in der Strafprozessordnung, die der Staatsanwaltschaft die Sicherstellung und Auswertung von Handys ohne richterliche Bewilligung erlauben. Gibt das Höchstgericht diesem statt, könnte das weitreichende Folgen nach sich ziehen.

Denn vor allem die Kanzlerpartei, die ÖVP, drängt in diesem Bereich seit der hohen Anzahl an Ermittlungsverfahren im politischen Umfeld auf gesetzliche Anpassungen und mehr Beschuldigtenrechte. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler fordert immer wieder ein Zitierverbot aus Strafakten (“Fänden Sie es angebracht, dass alle Ihre SMS öffentlich nachzulesen sind?”) und begründet das mit angeblichen Verstößen gegen die Unschuldsvermutung. Dass die “Verbreitung von nicht öffentlichen Details” – wie Edtstadler das bezeichnet – bereits jetzt engen medienrechtlichen Schranken, die den höchstpersönlichen Lebensbereich schützen, unterliegen, bleibt hierbei regelmäßig unerwähnt. Und auch wegen der Aktualität des Themas scheint der Koalitionspartner – die Grünen – bei Initiativen in diese Richtung zu bremsen: Dadurch gibt es aktuell kaum rechtspolitische Gesetzesvorlagen der Regierung.
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Gibt das Höchstgericht aber dem Antrag statt, müsste wahrscheinlich der Gesetzgeber für eine Reparatur der Strafprozessordnung sorgen, damit in Zukunft Gerichte über die Sicherstellung von Geräten wachen. Und das könnte er zum Anlass nehmen, gleich weitläufigere Reformen in Angriff zu nehmen: Immer wieder diskutiert werden zum Teil sehr lange Ermittlungsverfahren, die Edtstadler gerne zeitlich beschränken würde. Doch diese ziehen sich meist zum einen wegen der – unbestritten gerechtfertigten – Rechtsmittel durch die Beschuldigten und zum anderen wegen der langwierigen Aufsicht bei aufsehenerregenden Fällen inklusive ausführlicher Vorhabensberichte.
Auf die Anpassung dieser Weisungsbefugnis über die Staatsanwaltschaften (“Generalstaatsanwaltschaft”) einigte sich die Koalition zwar bereits einmal, bis heute liegt aber kein Gesetzesentwurf vor. Denn während die Grünen – mit dem Verweis auf eine Gruppe von Expertinnen und Experten – Dreiersenate fordern, deren Arbeit in Ermittlungsverfahren keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen soll, ist für die ÖVP eine einzelne Person an der Spitze der Weisungskette essenziell.

Angesichts dieser Diskussionen und gegenseitigen Blockaden ist in Justizkreisen immer wieder von einer Missachtung der Gerichte die Rede: Die Bundesregierung erfülle ihre Aufgabe, die Unabhängigkeit der Justiz zu bewahren bzw. zu stärken, nicht. Und das sei auch beim Bundesverwaltungsgericht der Fall: Der Posten der Präsidentin am größten Gericht Österreichs ist seit mehr als einem halben Jahr unbesetzt, weil sich die Koalition nicht auf eine Nachfolge einigen kann. Zwar liegt ein Vorschlag einer hochkarätig besetzten Personalkommission seit Februar vor, dieser wird aber ignoriert. Doch diese Angelegenheit könnte nicht einmal der Verfassungsgerichtshof wieder in Gang bringen: Dafür ist er nicht zuständig. Und die Pattsituation bleibt bestehen.