EU-Asylreform wird ihre Ziele nicht erreichen, warnt Migrationsexperte Knaus

Für diesen Sommer sei zu befürchten, dass noch mehr überfüllte Schiffe aus dem Osten Libyens losfahren und untergehen werden.
Schwarzach, Berlin Bis zu 700 Menschen waren an Bord des völlig überfüllten Schiffes. Wie viele ums Leben gekommen sind, als es im Mittelmeer südwestlich der Halbinsel Peloponnes sank, ist noch immer nicht klar. Es dürften Hunderte gewesen sein. 104 Personen konnten gerettet werden, 82 Todesopfer geborgen. Hoffnung, jetzt noch Überlebende zu finden, gibt es keine mehr. Die Tragödie zeigt einmal mehr auf, was seit Jahren traurige Realität ist: Regelmäßig sterben Menschen bei der Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa. Nach Angaben des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) verschwanden allein 2022 mehr als 1940 Menschen oder kamen zu Tode. Die genaue Zahl könne nur geschätzt werden.
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Mehrheit für Änderungen
Schon seit Längerem gibt es Bemühungen, die geltenden Asylregeln der Europäischen Union zu überarbeiten. Zuletzt hat sich eine breite Mehrheit der Mitgliedsstaaten auf eine weitreichende Reform geeinigt. Insbesondere Menschen, die nicht vor Krieg oder politischer Verfolgung fliehen, sollen abgeschreckt werden. Der nächste Schritt sind Verhandlungen mit dem Europaparlament. Doch sind die Pläne geeignet, Katastrophen wie jene in der vergangenen Woche künftig zu verhindern?
Nein, sagt der Migrationsexperte und Vorsitzende der Europäischen Stabilitätsinitiative ESI, Gerald Knaus, im VN-Gespräch. Er zählt drei Ziele auf, welche die Reform den Angaben der Staats- und Regierungschefs zufolge haben soll: irreguläre Migration zu reduzieren, das Sterben im Mittelmeer zu beenden und die Rechtsstaatlichkeit an den Außengrenzen wiederherzustellen. Zudem soll es mehr Solidarität unter den Staaten geben. Dem österreichischen Experten mit Vorarlberger Wurzeln zufolge ist zu befürchten, dass all das eben nicht geschafft wird – zumal die Pläne auch nicht neu seien, sondern in der einen oder anderen Form bereits existierten. „Es kommen beispielsweise jetzt schon Menschen, auch Kinder, an den Außengrenzen in Haft.“ Für Knaus ist klar: „Diese Reform wird ihre Ziele so nicht erreichen.“ Auch verpflichtende Grenzverfahren ohne Abkommen für Rückführungen würden irreguläre Migration nicht reduzieren.

Wie die VN berichteten, sollen ankommende Menschen künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnliche Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob die Person Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll sie umgehend zurückgeschickt werden. Neben den verschärften Asylverfahren sehen die nun beschlossenen EU-Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen vor. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssten Ausgleichszahlungen leisten.
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Kooperation mit Drittstaaten
Es stellt sich die Frage, wie eine Alternative aussehen könnte. Knaus, Mitarchitekt des Flüchtlingspakts mit der Türkei 2016, verweist auf Kooperationen mit Staaten, um diese dazu zu bewegen, Menschen zurückzunehmen. Die Mechanismen müssten im Einklang mit der Menschenrechtskonvention stehen. „Eine Gruppe von Ländern müsste überlegen: Wie beenden wir illegale Pushbacks in der Ägais? Wie erreichen wir, dass weniger Menschen in Boote steigen? Was bieten wir der Türkei an?“ Die gleiche Frage stelle sich im Fall des kriegszerrissenen Libyen. Zwar gebe es seit 2015 eine Zusammenarbeit mit der Regierung im Westen des Landes. „Doch dort geschehen grauenhafte Menschenrechtsverletzungen.“ Migranten dürften nicht mehr in das Land zurückgeschickt werden, warnt der Experte. Ähnliche Vereinbarungen mit dem Kriegsherrn General Khalifa Haftar im Osten, einem in den USA verurteilten Kriegsverbrecher, seien ebenso moralisch inakzeptabel. Als Alternative kommen Knaus zufolge nur Lösungen mit sicheren Drittstaaten infrage.
Ihm zufolge ist in diesem Zusammenhang auch nur eine rechtliche Änderung nötig: Dass auch Menschen in tatsächlich sichere Drittstaaten gebracht werden können, wo ihr Asylverfahren stattfinden kann, auch ohne eine konkrete Verbindung zu solchen Ländern zu haben. Diese Gesetzesänderung lasse aber auf sich warten. „Für diesen Sommer müssen wir befürchten, dass noch mehr überfüllte Schiffe aus dem Osten Libyens losfahren und untergehen werden.“