„Ziele sind nicht zu erreichen“

Politik / 02.07.2023 • 22:47 Uhr
Hunderte Menschen dürften bei der Bootskatastrophe vor Griechenland gestorben sein. AP/Hellenic Coast Guard
Hunderte Menschen dürften bei der Bootskatastrophe vor Griechenland gestorben sein. AP/Hellenic Coast Guard

Migrationsexperte Gerald Knaus befürchtet im Sommer noch mehr untergehende Schiffe aus dem Osten Libyens.

Schwarzach, Berlin Bis zu 700 Menschen waren an Bord des völlig überfüllten Schiffes. Wie viele ums Leben gekommen sind, als es im Mittelmeer südwestlich der Halbinsel Peloponnes sank, ist noch immer nicht klar. Es dürften Hunderte gewesen sein. 104 Personen konnten gerettet werden, 82 Todesopfer geborgen. Die Tragödie zeigt einmal mehr auf, was seit Jahren traurige Realität ist: Regelmäßig sterben Menschen bei der Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa. Nach Angaben des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen verschwanden allein 2022 mehr als 1940 Menschen oder kamen zu Tode. Die genaue Zahl könne nur geschätzt werden.

Mehrheit für Änderungen

Schon seit Längerem gibt es Bemühungen, die geltenden Asylregeln der Europäischen Union zu überarbeiten. Zuletzt hat sich eine breite Mehrheit der Mitgliedsstaaten auf eine weitreichende Reform geeinigt. Insbesondere Menschen, die nicht vor Krieg oder politischer Verfolgung fliehen, sollen abgeschreckt werden. Der nächste Schritt sind Verhandlungen mit dem Europaparlament. Doch sind die Pläne geeignet, Katastrophen wie jene in der vergangenen Woche künftig zu verhindern?

Nein, sagt der Migrationsexperte Gerald Knaus im VN-Gespräch. Er zählt drei Ziele auf, welche die Reform den Angaben der Staats- und Regierungschefs zufolge haben soll: Irreguläre Migration zu reduzieren, das Sterben im Mittelmeer zu beenden und die Rechtsstaatlichkeit an den Außengrenzen wiederherzustellen. Zudem soll es mehr Solidarität unter den Staaten geben. Knaus zufolge ist zu befürchten, dass all das eben nicht geschafft wird – zumal die Pläne auch nicht neu seien. „Es kommen beispielsweise jetzt schon Menschen, auch Kinder, an den Außengrenzen in Haft.“ Für Knaus ist klar: „Diese Reform wird ihre Ziele so nicht erreichen.“ Auch verpflichtende Grenzverfahren ohne Abkommen für Rückführungen würden irreguläre Migration nicht reduzieren.

Kooperation mit Drittstaaten

Ankommende Menschen sollen künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnliche Bedingungen in Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob die Person Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll sie umgehend zurückgeschickt werden. Neben den verschärften Asylverfahren sehen die nun beschlossenen EU-Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen vor. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssten Ausgleichszahlungen leisten.

Es stellt sich die Frage, wie eine Alternative aussehen könnte. Knaus, Mitarchitekt des Flüchtlingspakts mit der Türkei 2016, verweist auf Kooperationen mit Staaten, um diese dazu zu bewegen, Menschen zurückzunehmen. Diese Mechanismen müssten im Einklang mit der Menschenrechtskonvention stehen. Migranten dürften zum Beispiel nicht mehr nach Libyen zurückgeschickt werden. Als Alternative kämen nur Lösungen mit sicheren Drittstaaten infrage.

Knaus zufolge ist in diesem Zusammenhang auch nur eine rechtliche Änderung nötig: Dass Menschen in tatsächlich sichere Drittstaaten gebracht werden können, wo ihr Asylverfahren stattfinden kann, auch ohne eine konkrete Verbindung zu solchen Ländern zu haben.

Diese Gesetzesänderung lasse aber auf sich warten. „Für diesen Sommer müssen wir befürchten, dass noch mehr überfüllte Schiffe aus dem Osten Libyens losfahren und untergehen werden.“ VN-ram